Kündigungsschutz, Geheimhaltungsklauseln

Kündigungsschutz: Warum Geheimhaltungsklauseln jetzt wertlos werden

01.12.2025 - 12:31:12

Das Bundesarbeitsgericht erklärt pauschale Verschwiegenheitsklauseln für unwirksam und schützt Gehaltsgespräche. Kündigungen wegen Lohntransparenz sind kaum noch haltbar.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) zieht die Notlage für Arbeitgeber zu: Pauschale Verschwiegenheitspflichten sind passé, Kündigungen wegen Gehalts-Plauderei kaum noch durchsetzbar. Was auf dem „Tübinger Arbeitsrechtsgespräch” am 28. November diskutiert wurde, hat das Zeug zur HR-Revolution.

Wer heute noch in Arbeitsverträgen liest, Mitarbeiter dürften „über sämtliche Betriebsangelegenheiten Stillschweigen bewahren”, der hält ein juristisches Auslaufmodell in Händen. Die höchste deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit hat solchen Formulierungen den Kampf angesagt – mit Folgen, die Personalabteilungen und Rechtsabteilungen gleichermaßen aufhorchen lassen sollten.

Gehaltsgespräche sind keine Geheimnisse mehr

Den deutlichsten Kurswechsel markiert die BAG-Entscheidung vom 23. Oktober 2025 (Az. 8 AZR 300/24) zur Lohntransparenz. Das Urteil dreht die Beweislast in Entgeltdiskriminierungsfällen faktisch um: Wer auch nur einen einzigen Kollegen des anderen Geschlechts benennen kann, der für vergleichbare Arbeit mehr verdient, begründet bereits einen Diskriminierungsverdacht.

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Was bedeutet das für den Kündigungsschutz? Jahrzehntelang enthielten deutsche Arbeitsverträge strenge Klauseln, die Mitarbeitern untersagten, über ihr Gehalt zu sprechen. Verstöße führten zu Abmahnungen oder sogar fristlosen Kündigungen. Diese Zeiten sind vorbei.

Die neue Rechtslage ist eindeutig:
* Gespräche über Gehälter gelten als geschützte Rechtsausübung nach dem Entgelttransparenzgesetz
* Vertragliche Verbote solcher Gespräche sind unwirksam
* Eine Kündigung wegen „Verstoßes gegen die Vertraulichkeit” bei Gehaltsdiskussionen ist rechtlich nicht mehr haltbar

Arbeitgeber, die einen Mitarbeiter entlassen wollen, weil dieser „den Betriebsfrieden durch Lohngespräche stört”, stehen vor einer nahezu unüberwindbaren rechtlichen Hürde. Die Diskussionen in Tübingen machten klar: Der Wandel ist nicht nur juristisch vollzogen, er wird auch gesellschaftlich getragen.

WhatsApp-Gruppen: Wo Vertraulichkeit endet

Während die Transparenz bei Gehältern zunimmt, hat das BAG gleichzeitig die Grenzen privater digitaler Kommunikation präzisiert. Analysen vom 26. November 2025 zeigen: Das Etikett „privat” schützt längst nicht automatisch vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen.

Die zentrale Botschaft der Karlsruher Richter: Nur in einer überschaubaren, persönlich eng verbundenen Gruppe können sich Beschäftigte auf eine „Vertraulichkeitssphäre” berufen. Wächst der Chat über eine Handvoll enger Freunde hinaus oder zählen bloße Bekannte dazu, entfällt die berechtigte Erwartung auf Diskretion.

Konkret heißt das:
* Eine WhatsApp-Gruppe mit 4-5 engen Freunden genießt Vertraulichkeitsschutz
* Bei 20 oder mehr Teilnehmern, darunter Kollegen, erlischt dieser Schutz
* Beleidigungen gegen Vorgesetzte aus solchen Gruppen können eine fristlose Kündigung rechtfertigen (Az. 2 AZR 17/23)

Die November-Diskussionen betonten: Größe und Zusammensetzung der Gruppe sind entscheidend. Wer glaubt, in einer lockeren Kollegenrunde ungestraft über den Chef herziehen zu können, irrt gewaltig.

Das Ende der „Catch-All-Klauseln”

Der dritte Pfeiler der aktuellen Rechtswende betrifft die Formulierung von Geheimhaltungsvereinbarungen selbst. Das BAG (Az. 8 AZR 172/23) hat pauschale Verschwiegenheitspflichten für unwirksam erklärt – ein Schlag gegen jahrzehntelange Vertragspraxis.

Klauseln, die Mitarbeiter verpflichten, „alle Geschäftsvorgänge und Vorkommnisse” geheim zu halten, oft noch Jahre nach Vertragsende, benachteiligen Arbeitnehmer unangemessen. Das höchste deutsche Arbeitsgericht sagt: So geht es nicht mehr.

Was Personalabteilungen jetzt beachten müssen:
* Geheimhaltungsklauseln erfordern präzise Definition (Kundenlisten, Algorithmen, Preiskalkulationen)
* Kündigungen wegen Verstoßes gegen zu weit gefasste Klauseln scheitern vor Gericht
* Die neue Rechtslage harmoniert mit dem Hinweisgeberschutzgesetz: Whistleblowing darf nicht als Vertragsbruch gewertet werden

Kündigt ein Arbeitgeber wegen Verletzung einer später für ungültig erklärten Vertraulichkeitsklausel, steht die gesamte Kündigung auf tönernen Füßen.

2026: Die EU macht Ernst

Die rechtliche Entwicklung wird sich weiter verschärfen. Bis Juni 2026 muss Deutschland die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz (2023/97/EU) vollständig umsetzen – viele der aktuellen Gerichtsentscheidungen werden dann Gesetzesrang erhalten.

Was kommt:
* Explizites Verbot von Geheimhaltungsklauseln zu Gehältern
* Erweiterte Auskunftsrechte für Arbeitnehmer über Gehaltsdaten
* Strenges Retaliationsverbot: Kündigungen als Vergeltung für Transparenzforderungen sind unzulässig
* Höhere Schadensersatzansprüche und Abfindungen bei rechtswidriger Kündigung

„Die Ära des gläsernen Arbeitnehmers und des undurchsichtigen Arbeitgebers geht zu Ende”, fassten Rechtsexperten auf der Tübinger Tagung zusammen. Unternehmen, die weiterhin auf veraltete Vertraulichkeitsklauseln setzen, schaffen sich selbst eine Haftungsfalle.

Was Unternehmen jetzt tun müssen

Der Handlungsbedarf ist unmittelbar: Alle Standard-Arbeitsverträge gehören auf den Prüfstand. Geheimhaltungsklauseln müssen spezifisch sein, dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) entsprechen und dürfen das geschützte Recht auf Gehaltsgespräche nicht einschränken.

Für Beschäftigte hingegen bedeuten die neuen Urteile einen robusten Schutzschild: Wer sein Recht auf Transparenz und faire Bezahlung wahrnimmt, kann deutlich schwerer gekündigt werden als noch vor einem Jahr.

Die Botschaft der Karlsruher Richter ist klar – und sie lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Was nicht präzise definiert ist, kann auch nicht eingeklagt werden. Und wer über sein Gehalt spricht, macht nichts Verbotenes, sondern nimmt ein verbrieftes Recht wahr.

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