KI-Überwachung, Standard

KI-Überwachung wird zum neuen Standard im Einzelhandel

29.12.2025 - 20:52:12

Künstliche Intelligenz überwacht Kassen und Rückgaben flächendeckend. Der Einzelhandel setzt auf Automatisierung und Betrugsprävention, riskiert dabei aber die Kundenbindung.

Die Weihnachtseinkäufe sind vorbei, doch an den Kassen und Rückgabeschaltern erwartet Kunden eine neue digitale Realität. Künstliche Intelligenz überwacht inzwischen flächendeckend das Kauf- und Rückgabeverhalten – und verändert das Einkaufserlebnis grundlegend. Was bedeutet diese Entwicklung für Verbraucher und den Einzelhandel in Europa?

Vom Testlauf zur Dauerüberwachung an der Kasse

Was bis vor kurzem noch als Experiment galt, ist heute Alltag: KI-gestützte Gesichtserkennung und permanente Videoüberwachung an Selbstbedienungskassen. Ein Bericht des Guardian beschreibt ein Einkaufsumfeld, in dem Kunden auf Bildschirmen sehen, wie sie selbst von KI-Kameras beim Verlassen des Geschäfts gefilmt werden. Diese Systeme sind nicht mehr nur Diebstahlschutz, sondern zentraler Bestandteil der Produktivitätsstrategien des Handels.

Die Zahlen unterstreichen den Wandel. Die Ladenleerstände im Einzelhandel sanken im November 2025 um fast 6 Prozent – auf den niedrigsten Stand seit einem Jahrzehnt. Analysten führen dies direkt auf den „Aufstieg der Maschinen“ zurück. Supermärkte ersetzen zunehmend einfache Personalstellen durch Automaten: Selbstbedienungskassen, elektronische Regaletiketten und Handscanner, alle überwacht von KI-Systemen.

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Doch der Preis für diese Effizienz ist hoch. Während einige Ökonomen von einer „technologiegetriebenen Renaissance“ der Produktivität sprechen, warnen andere vor einer „dystopischen Zukunft“, in der der menschliche Kundenservice vollständig kostenoptimierenden Algorithmen weicht. Die sichtbaren Überwachungsmaßnahmen wirken als psychologische Abschreckung – eine Form der sozialen Kontrolle durch Technologie.

Der Milliardenkampf gegen Retourenbetrug

Während an den Kassen aufgerüstet wird, tobt an den Rückgabeschaltern ein stiller KI-Krieg. Zur aktuellen „Rückgabewoche“ erwarten Händler eine Flut unerwünschter Geschenke. Doch dieses Jahr sind sie mit prädiktiven KI-Tools gewappnet, die legitime Kunden von Betrügern unterscheiden sollen.

Eine Untersuchung von Newsday zeigt das Ausmaß des Problems: Händler rechnen 2025 mit Retouren im Wert von rund 850 Milliarden Euro – fast 16 Prozent des Jahresumsatzes. Besorgniserregend ist, dass schätzungsweise 9 Prozent dieser Rückgaben betrügerisch sind, was zig Milliarden Euro ausmacht.

Die Gegenmaßnahmen sind drastisch. Logistikriesen und Retourenabwickler wie das UPS-Tochterunternehmen Happy Returns setzen seit dieser Weihnachtssaison neue KI-Tools ein. Diese Systeme nutzen Computervision und Machine-Learning-Algorithmen, um Artikel und Kundenverhalten in Echtzeit zu scannen. Die Technologie erkennt beispielsweise „Wardrobing“ – den kurzzeitigen Gebrauch von Kleidung vor der Rückgabe – oder klassische Betrugsmuster wie das Rückenden falscher Ware in Originalverpackungen.

Die Kehrseite der Betrugsbekämpfung: Immer mehr Händler verlangen Rückgabegebühren. 72 Prozent der Einzelhändler haben 2025 mindestens eine solche Gebühr eingeführt, ein deutlicher Anstieg gegenüber 66 Prozent im Vorjahr. Diese Gebühren entfallen meist bei Rückgaben im Geschäft – eine Strategie, um Kundenverkehr zu generieren. Bei postalischen Retouren zahlen jedoch zunehmend die Verbraucher.

Das Risiko der verprellten Kunden

Der aggressive Einsatz dieser Technologien birgt erhebliche Geschäftsrisiken. Verbraucherumfragen zeigen eine wachsende Ablehnung dessen, was Kunden als feindselige Einkaufsumgebungen wahrnehmen. Experten warnen: Während Händler Betrug reduzieren wollen, riskieren sie, Kunden mit restriktiven Gebühren und invasiver Überwachung zu vergraulen.

Die Zahlen bestätigen diese Sorge: Rund 57 Prozent der befragten Käufer gaben an, nach einer Rückgabegebühr nicht mehr bei einem Händler einzukaufen. 2024 lag dieser Wert noch bei 40 Prozent. Supermärkte und große Einzelhändler stehen vor einer schwierigen Abwägung: zwischen den finanziellen Einsparungen durch Betrugsprävention und dem potenziellen Verlust langfristiger Kundenbindung.

Hinzu kommt ein grundsätzliches Problem: Die von KI-Befürwortern versprochene „reibungslose“ Erfahrung steht oft im Widerspruch zu Sicherheitsprotokollen nach dem Motto „schuldig, bis die Unschuld bewiesen ist“. Die Systeme, die Ausgänge überwachen und jeden Scan protokollieren, können ein antagonistisches Verhältnis zwischen Händler und Kunde schaffen. Während versehentlich nicht gescannte Artikel früher als Schulungsproblem behandelt wurden, melden KI-Systeme solche Vorfälle heute sofort – was sich für Kunden oft anklagend anfühlt.

Die datengetriebene Transformation des Handels

Diese digitale Transformation beschränkt sich nicht auf den physischen Laden. Auch Lieferdienste bauen KI in ihr Ökosystem ein. Seit Mitte Dezember berichten Medien über neue Integrationen zwischen Apps wie DoorDash und generativen KI-Plattformen. Diese Tools ermöglichen es Nutzern, Einkaufslisten aus Rezepten zu erstellen und nahtlos zu bezahlen – unterliegen aber derselben algorithmischen Überprüfung wie stationäre Einkäufe.

Dienste wie Instacart verfeinern ihre eigenen KI-Fähigkeiten zur dynamischen Bestands- und Preisführung. Doch wie bereits in früheren Analysen 2025 festgestellt, stehen diese Systeme wegen möglicher Preisunterschiede in der Kritik. Der gemeinsame Nenner all dieser Entwicklungen – von der Kassenkamera bis zum Lieferapp-Algorithmus – sind Daten. Jede Interaktion wird zum Datensatz, der Modelle trainiert, die Diebstahl vorhersagen, Personal optimieren und Bestände verwalten – oft mit geringer Transparenz für Verbraucher.

Europas Sonderweg zwischen Datenschutz und Effizienz

Für den österreichischen und europäischen Markt, wo Datenschutzbedenken traditionell höher sind als in den USA, stellt die Einführung dieser Technologien eine besondere Herausforderung dar. Die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und der EU-KI-Gesetzentwurf errichten hier strengere regulatorische Hürden.

Dennoch ist der globale Trend unübersehbar: Die Supermarktkasse ist nicht länger nur ein Verkaufspunkt, sondern eine hochgesicherte Grenze, bewacht von Algorithmen, die nie blinzeln. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Verbraucher diesen neuen Gesellschaftsvertrag akzeptieren – Privatsphäre und kostenlose Rückgaben im Tausch gegen niedrigere Preise – oder ob die als „dystopisch“ empfundene Überwachung zu einer Renaissance menschlich betreuter, vertrauensbasierter Einkaufsumgebungen führt.

Eines ist bereits sicher: Wer diese Woche unerwünschte Geschenke zurückbringt, tut dies unter den wachsamsten digitalen Augen in der Geschichte des Einzelhandels.

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