Gassi-Gehen, Berufstätigkeit

Gassi-Gehen als Berufstätigkeit: Urteil revolutioniert Unfallschutz für Ehrenamtliche

21.11.2025 - 19:01:11

Das Sozialgericht Oldenburg entschied, dass unbezahlte Helfer unter bestimmten Bedingungen gesetzlichen Unfallschutz genießen. Dies zwingt Vereine zur Überprüfung ihrer Strukturen und Versicherungsmeldungen.

Eine wegweisende Gerichtsentscheidung dürfte Zehntausende Vereine in Deutschland zum Umdenken zwingen. Das Sozialgericht Oldenburg hat mit seinem Urteil vom Mai 2025 klargestellt: Auch unbezahlte Helfer können unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen – wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Eine am heutigen Freitag veröffentlichte Analyse des Fachverlags Haufe bringt die weitreichenden Konsequenzen ans Licht.

Die zentrale Frage, die viele Vereine und Millionen Ehrenamtliche umtreibt: Wann wird aus einem Unfall während freiwilliger Arbeit ein anerkannter Arbeitsunfall? Das Oldenburger Urteil liefert erstmals klare Antworten.

Der Fall: Ausgerutscht beim Hundespaziergang

Den Anstoß gab ein scheinbar alltäglicher Vorfall in einem niedersächsischen Tierheim. Eine regelmäßige Helferin, die mehrmals wöchentlich ehrenamtlich Hunde ausführte, rutschte auf einem matschigen Weg aus und erlitt einen schweren Knöchelbruch – eine Weber-C-Fraktur.

Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte zunächst ab: Die Frau sei als unbezahlte Freiwillige tätig gewesen, keine Arbeitnehmerin – also kein Versicherungsschutz. Ein Argument, das bei derartigen Streitfällen Routine ist.

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Doch das Sozialgericht Oldenburg widersprach in seinem Urteil (Az. S 73 U 162/21). Die Richter erkannten in den Aktivitäten der Ehrenamtlichen eine sogenannte “Wie-Beschäftigung” – und gewährten ihr damit vollen Versicherungsschutz. Kein Wunder also, dass die Reaktionen in der Vereinslandschaft heftig ausfallen.

Die entscheidenden Kriterien

Was macht den Unterschied zwischen einfacher Freiwilligenarbeit und versicherungspflichtiger “Wie-Beschäftigung”? Die Oldenburger Richter nannten drei klare Faktoren:

Weisungsgebundenheit: Die Helferin konnte nicht frei entscheiden, wann und mit welchen Hunden sie spazieren geht. Sie musste sich an feste Zeiten und Vorgaben des Tierheims halten – ein klassisches Merkmal einer Beschäftigung.

Wirtschaftlicher Wert: Das Gassigehen war keine bloße Freizeitbeschäftigung, sondern erfüllte Tierschutzpflichten des Heims. Die Arbeit besaß konkreten wirtschaftlichen Nutzen für die Organisation.

Regelmäßigkeit: Die mehrmalige wöchentliche Tätigkeit unterschied die Klägerin von sporadischen Gelegenheitshelfern.

“Der Status als Ehrenamtliche schließt den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht automatisch aus”, betont die Haufe-Analyse. Wer wie ein Mitarbeiter in die Abläufe einer Organisation eingebunden ist, erhält auch den gleichen Schutz.

Vereine müssen handeln

Das dürfte spannend werden für Deutschlands Non-Profit-Sektor. Viele Vereine gehen davon aus, dass ihre allgemeine Haftpflicht oder private Freiwilligenversicherung ausreicht. Doch die gesetzliche Unfallversicherung bietet deutlich umfassendere Leistungen: Rehabilitation, im Ernstfall lebenslange Rentenzahlungen – Benefits, die private Policen selten abdecken.

Rechtsexperten raten Vereinsvorständen zur sofortigen Prüfung ihrer Strukturen. Gibt es feste Einsatzpläne? Klare Weisungen? Übernehmen Freiwillige zentrale operative Aufgaben? Dann könnten sie rechtlich als “Wie-Beschäftigte” gelten.

Der Haken: Besserer Schutz bedeutet auch Meldepflichten. Wer solche “Quasi-Angestellten” nicht bei der Berufsgenossenschaft registriert, riskiert bei Unfällen komplizierte Haftungsfragen.

Nicht jede Vereinstätigkeit ist gleich

Eine wichtige Differenzierung hebt die aktuelle Kommentierung hervor: Zwischen “Mitgliedspflichten” und “beschäftigungsähnlicher Tätigkeit” muss unterschieden werden.

Im Oldenburger Fall stellten die Richter fest: Das Ausführen von Hunden war keine satzungsgemäße Pflicht für alle Mitglieder. Es ging über normale Mitgliedschaftserwartungen hinaus. Allgemeine Aufgaben wie Hauptversammlungen oder Beitragszahlungen bleiben üblicherweise außerhalb des Versicherungsschutzes. Doch sobald jemand spezifische operative Tätigkeiten übernimmt, die dem wirtschaftlichen Zweck des Vereins dienen, ändert sich die rechtliche Einordnung.

Was jetzt zu tun ist

Die Veröffentlichung dieser Analyse wird die Bearbeitung von Versicherungsfällen in den kommenden Monaten beeinflussen. Vereine sollten dokumentieren, welche konkreten Aufgaben ihre Freiwilligen haben und wie viel Gestaltungsfreiheit sie besitzen.

“Je mehr ein Verein die Tätigkeit eines Ehrenamtlichen durch Dienstpläne, Checklisten und Aufsicht reguliert, desto wahrscheinlicher entsteht eine versicherungsrelevante Beziehung”, warnen Rechtsbeobachter.

Das Urteil betraf zwar ein Tierheim, doch die Grundsätze gelten branchenübergreifend – von Sportvereinen bis zu Kultureinrichtungen. Da die Grenze zwischen professionalisiertem Ehrenamt und lockerer Unterstützung zunehmend verschwimmt, liefert diese richterliche Klarstellung einen wichtigen Wegweiser für den Schutz derer, die der Gesellschaft ihre Zeit schenken.

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