EU-Gehaltstransparenz, Firmen

EU-Gehaltstransparenz: Deutsche Firmen unter Zugzwang

17.12.2025 - 17:41:12

Bis Juni 2026 müssen deutsche Unternehmen die strengen EU-Regeln zur Entgeltgleichheit umsetzen. Die Zeit wird knapp, warnen Experten.

Mit weniger als sechs Monaten bis zur Umsetzungsfrist am 7. Juni 2026 steht der deutsche Arbeitsmarkt vor einer Zeitenwende. Die EU-Pay-Transparency-Richtlinie verlangt von Unternehmen radikale Offenlegung bei Gehältern. Rechts- und Beratungskanzleien wie CMS und Deloitte schlagen nun Alarm: Viele Firmen seien auf die tiefgreifendste Reform des europäischen Gleichbehandlungsrechts seit Jahrzehnten nicht vorbereitet.

Während die EU-Richtlinie bereits seit Juni 2023 in Kraft ist, hinkt Deutschland bei der nationalen Umsetzung hinterher. Ein finales Gesetz, die Novelle des Entgelttransparenzgesetzes, liegt noch nicht vor. Doch der Fahrplan steht.

Ein Referentenentwurf wird für Anfang 2026 erwartet. Er wird maßgeblich von den Empfehlungen einer Expertenkommission geprägt, die im November 2025 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Das Gremium unter Vorsitz von Gleichstellungsministerin Karin Prien (CDU) sollte eine bürokratiearme Lösung finden. Ihre Vorschläge: Berichterstattung auf Basis tatsächlicher Gehälter, eine Vermutung der Angemessenheit für Tarifverträge und digitale Hilfstools für den Mittelstand.

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Doch trotz dieser Erleichterungen bleiben die Kernpflichten streng. „Das Ziel der Bundesregierung ist es, die Lohnlücke zu schließen und die EU-Richtlinie 1:1 umzusetzen“, betonte Ministerin Prien. Angesichts eines unbereinigten Gender Pay Gaps von rund 16 Prozent in Deutschland – über dem EU-Durchschnitt von 12 Prozent – ist der politische Druck hoch, das Gesetz vor der Juni-Frist zu verabschieden.

Das Ende der Geheimniskrämerei: Neue Regeln für Bewerbungen

Für Personalabteilungen bedeutet die Richtlinie einen Kulturwandel. Die Ära des vagen „Gehalt nach Vereinbarung“ in Stellenausschreibungen ist bald vorbei.

Pflicht zur Gehaltsangabe
Arbeitgeber müssen künftig bereits in der Stellenausschreibung oder vor dem Vorstellungsgespräch das Einstiegsgehalt oder eine Gehaltsspanne nennen. Das soll für transparente und informierte Verhandlungen sorgen.

Verbot von Gehaltshistorie-Fragen
Eine zentrale Neuerung: Fragen nach dem aktuellen oder vorherigen Gehalt sind künftig tabu. Damit wird eine in Deutschland lange übliche Praxis verboten, die historische Diskriminierung fortschreiben kann.

Auskunftsrecht für Beschäftigte
Mitarbeiter erhalten ein erweitertes Recht auf Auskunft über ihr individuelles Gehalt und die durchschnittlichen Vergütungen, aufgeschlüsselt nach Geschlechtern, für vergleichbare Tätigkeiten. Dieses Recht gilt künftig für deutlich mehr Unternehmen als bisher.

Die kritische 5-Prozent-Schwelle und gemeinsame Prüfungen

Die Richtlinie setzt nicht nur auf Transparenz, sondern auch auf Sanktionen. Der entscheidende Wert für Unternehmen ist eine geschlechtsspezifische Lohnlücke von 5 Prozent.

Wird diese Lücke in einer Mitarbeiterkategorie festgestellt und kann nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt werden, muss der Arbeitgeber eine gemeinsame Entgeltprüfung (Joint Pay Assessment) mit den Arbeitnehmervertretern durchführen.

Die Berichtspflichten im Überblick:
* Unternehmen mit 250+ Mitarbeitern: Jährliche Berichterstattung.
* Unternehmen mit 150-249 Mitarbeitern: Berichterstattung alle drei Jahre.
* Unternehmen mit 100-149 Mitarbeitern: Berichterstattung alle drei Jahre (voraussichtlich ab 2031).

Rechtsexperten von CMS weisen darauf hin, dass diese Prüfungen Grundlage für Klagen sein können. Entscheidend ist die Umkehr der Beweislast: Bei einem Verdacht auf Diskriminierung muss nun das Unternehmen beweisen, dass keine Benachteiligung vorliegt – nicht der betroffene Arbeitnehmer.

Europa im Vergleich: Deutschland nicht allein unter Druck

Deutschland ist nicht das einzige Land im Zeitdruck, liegt aber hinter einigen Nachbarn zurück.
* Frankreich passt bereits seinen bestehenden „Gender Equality Index“ an.
* Die Niederlande haben eine Verspätung angekündigt und rechnen erst mit einer Umsetzung 2027.
* Polen setzt ab dem 24. Dezember 2025 erste Regeln zur Transparenz in der Bewerbung um.

Für international tätige Konzerne bedeutet dies einen Flickenteppich unterschiedlicher Fristen, bevor ab Mitte 2026 ein einheitlicher EU-Standard gelten soll.

Handlungsempfehlungen für Unternehmen

Die Reaktionen der Wirtschaft sind gespalten. Eine Umfrage der Kanzlei Littler ergab 2025, dass sich nur 21 Prozent der europäischen Arbeitgeber „sehr gut vorbereitet“ fühlen.

„Mit weniger als 120 Arbeitstagen bis zum Inkrafttreten ist es jetzt an der Zeit, die Compliance-Vorbereitungen voranzutreiben“, warnt Deloitte.

Was Unternehmen jetzt tun sollten:
1. Probelauf: Aktuelle Gehaltsdaten analysieren, um potenzielle Lücken über 5 Prozent zu identifizieren.
2. Stellenanzeigen überarbeiten: Vorlagen mit Gehaltsspannen für das zweite Quartal 2026 vorbereiten.
3. Vergütungssysteme auditieren: Sicherstellen, dass Stellenbewertungen geschlechtsneutral sind und Gehaltsunterschiede objektiv begründet werden können.

Mit dem Gesetzentwurf im Frühjahr 2026 beginnt für deutsche Unternehmen der Endspurt. Die Tage der Geheimhaltung sind gezählt. Die Frist zum 7. Juni 2026 ist nicht verhandelbar.

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