Verlängerung, Baustelle

ePA-Vergütung: Verlängerung offenbart digitale Baustelle

01.12.2025 - 08:00:12

Die elektronische Patientenakte stockt weiter. Ärzte erhalten bis Mitte 2026 Geld für die Erstbefüllung – ein Zeichen, dass der digitale Umbau des Gesundheitswesens komplizierter wird als gedacht. Aktuelle Daten zeigen: Besonders Pflegeheime hängen weit zurück.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband haben sich Ende November auf eine Fristverlängerung geeinigt. Die Vergütung für das erstmalige Befüllen der elektronischen Patientenakte (ePA) bleibt nun bis zum 30. Juni 2026 bestehen. Ursprünglich sollte die Regelung Ende 2025 auslaufen oder neu verhandelt werden.

Für Praxen bedeutet das: Pro Patient gibt es weiterhin 89 Punkte – das entspricht etwa 11,34 Euro – wenn erstmals Dokumente wie Befundberichte oder Medikationspläne in die ePA hochgeladen werden. Die Leistung kann allerdings nur einmal pro Patient abgerechnet werden, sofern noch kein anderer Arzt einen Befundbericht hinterlegt hat.

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“Grund für die erneute Verlängerung ist, dass Beratungen zu einer anderen Vergütungsstruktur noch andauern”, teilt die KBV mit. Eine Entscheidung über das künftige Vergütungsmodell wurde auf Mitte 2026 verschoben.

Zeitgleich zur Verlängerung veröffentlichte die gematik den TI-Atlas 2025 – und der zeichnet ein ernüchterndes Bild der digitalen Realität im deutschen Gesundheitswesen. Während Arztpraxen und Apotheken weitgehend an die Telematikinfrastruktur (TI) angebunden sind, klafft in der Pflege eine gewaltige Lücke.

Nur 23 Prozent der Pflegeheime waren zum Zeitpunkt der Erhebung vollständig an die TI angeschlossen. Weitere 21 Prozent befinden sich im Anschlussprozess, 27 Prozent planten die Anbindung bis Jahresende. Doch selbst optimistisch gerechnet bleibt die Mehrheit der Einrichtungen außen vor.

Das ist mehr als ein technisches Problem. Gerade Pflegeheime betreuen jene Menschen, die am meisten von einer zentralen digitalen Akte profitieren könnten: chronisch Kranke und hochbetagte Patienten mit komplexen Behandlungsverläufen. Ohne ihre Integration bleibt die ePA ein Torso.

Bei Apotheken sieht es besser aus. Drei Viertel nutzen die ePA regelmäßig oder sind bereit dazu. Das E-Rezept hat sich als Standard durchgesetzt. Dennoch: Technische Pannen und Softwareprobleme gehören laut Atlas zum Alltag.

“Lichtjahre entfernt”: Ärzteschaft übt scharfe Kritik

Wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, zeigte sich auf der Bitkom Digital Health Conference in Berlin. Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, fand dort drastische Worte: “Wir sind Lichtjahre davon entfernt, qualifiziert mit der ePA arbeiten zu können.”

Seine Kritik zielt auf den Kern des Problems: fehlende strukturierte Daten. Derzeit funktioniert die ePA für viele Ärzte wie ein “digitaler Schuhkarton” voller PDF-Dokumente. Eine intelligente Suche? Fehlanzeige. Unterstützung bei diagnostischen Entscheidungen? Noch nicht absehbar.

Reinhardt warnt: Ohne deutliche Verbesserungen bei Datenstandards und Suchfunktionen droht die ePA zum Datenfriedhof zu verkommen – statt zum klinischen Werkzeug zu werden.

Dr. Kristina Spöhrer vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband pflichtete bei: Die ePA sei zwar eine “riesige Chance”, doch die aktuelle technische Umsetzung erhöhe oft die Arbeitslast, statt sie zu senken.

Opt-out erzeugt Millionen leere Akten

Das Opt-out-Prinzip hat funktioniert – zumindest auf dem Papier. Jeder gesetzlich Versicherte erhält automatisch eine ePA, sofern er nicht aktiv widerspricht. Millionen Akten wurden angelegt. Doch sie mit sinnvollen, strukturierten Daten zu füllen, ist der eigentliche Kraftakt.

Die Verlängerung der Vergütung bis Mitte 2026 sendet ein klares Signal: Die Verantwortlichen rechnen damit, dass technische und strukturelle Probleme noch mindestens eineinhalb Jahre brauchen, um gelöst zu werden.

Laut TI-Atlas bewerten rund 60 Prozent der befragten Einrichtungen die Stabilität der TI-Anwendungen als “gut”. Doch das variiert stark – je nachdem, welchen Softwarehersteller die Praxis nutzt. Von Standardisierung kann keine Rede sein.

Der lange Weg zur “tiefen Integration”

Für 2026 deutet sich ein Kurswechsel an: Statt reiner Konnektivität – also dem bloßen Anschluss an die TI – rückt die “tiefe Integration” in den Fokus. Daten sollen künftig automatisch zwischen Systemen fließen, ohne manuelle Uploads.

Das Bundesgesundheitsministerium hat bereits weitere gesetzliche Anpassungen angekündigt. Softwarehersteller könnten verpflichtet werden, Interoperabilitätsstandards zu erfüllen. Ob das ausreicht, bleibt offen.

Die Botschaft an Deutschlands Ärzte und Pflegekräfte lautet vorerst: pragmatische Geduld. Die Infrastruktur ist Pflicht, die Finanzierung gesichert – aber die Vision eines nahtlos digitalisierten Gesundheitswesens bleibt Zukunftsmusik.

Wie lange noch, das entscheidet sich in den kommenden 18 Monaten.

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