DACH-Region: Digitale Souveränität bleibt Wunschtraum der Verwaltung
23.11.2025 - 19:39:11Europa verkündet digitale Unabhängigkeit – doch auf den Ämtern herrscht Ernüchterung. Während 27 EU-Staaten in Berlin feierlich die „Erklärung zur Europäischen Digitalen Souveränität” unterzeichneten, zeigt eine parallel veröffentlichte Studie: Drei Viertel der deutschen Behördenmitarbeiter halten die Digitalisierungsziele bis 2030 für unerreichbar. Eine Kluft zwischen politischem Anspruch und administrativer Realität wird sichtbar.
Die vergangene Woche offenbarte einen bemerkenswerten Kontrast in der deutschen, österreichischen und schweizerischen Digitalpolitik. Hochrangige Treffen, ambitionierte Erklärungen – und eine Verwaltung, die skeptisch auf die Versprechungen blickt.
Am 18. November 2025 versammelten sich Vertreter aller 27 EU-Mitgliedstaaten auf dem Berliner EUREF-Campus zum „Gipfel für Europäische Digitale Souveränität”. Das Ergebnis: eine einstimmig verabschiedete Erklärung, die Europa von amerikanischen und chinesischen Tech-Giganten unabhängiger machen soll. Die Initiative ging ursprünglich von Österreich aus.
Bundeskanzler Friedrich Merz und Digitalminister Karsten Wildberger präsentierten die Vereinbarung als ersten großen digitalpolitischen Erfolg der neuen Bundesregierung. Im Kern geht es um sichere Cloud-Infrastrukturen, Datenautonomie und die Förderung europäischer Softwarelösungen. Strengere Beschaffungsrichtlinien sollen künftig europäische Anbieter bei kritischer Infrastruktur bevorzugen.
Seit die EU mit der Berlin-Erklärung die digitale Souveränität vorantreibt, rücken auch Regeln für KI und sichere Infrastrukturen in den Fokus — und viele Behörden sind darauf nicht vorbereitet. Die EU-KI-Verordnung verpflichtet Verwender und Anbieter zu Risikoklassen, Kennzeichnung und ausführlicher Dokumentation. Unser kostenloser Umsetzungsleitfaden erklärt klar, welche Pflichten jetzt gelten und welche Fristen Sie beachten müssen, damit Ihre Organisation gesetzeskonform bleibt. Jetzt kostenlosen KI-Leitfaden herunterladen
„Digitale Souveränität ist Sicherheitspolitik, Innovationspolitik und Demokratiepolitik zugleich”, erklärte Österreichs Staatssekretär für Digitalisierung, Alexander Pröll. Auch EU-Vizepräsidentin Henna Virkkunen lobte die Führungsrolle der DACH-Region bei der Navigation durch die komplexe Regulierungslandschaft der Digitalen Dekade.
Ernüchternde Zahlen aus deutschen Behörden
Die politische Euphorie währte nicht lange. Zeitgleich zur Gipfel-Feier veröffentlichte der Softwareanbieter d.velop eine Studie, die aufhorchen lässt: 75 Prozent der befragten Beschäftigten im deutschen öffentlichen Dienst halten das Ziel einer vollständig digitalisierten Verwaltung bis 2030 für „unrealistisch”.
Die Umfrage unter 518 Verwaltungsmitarbeitern deckt massive strukturelle Probleme auf. Fehlende einheitliche Standards, veraltete Legacy-Software und unzureichende Schulungen blockieren den Fortschritt. Während Pilotprojekte wie „BundID” und das „Onlinezugangsgesetz 2.0″ rechtliche Rahmen geschaffen haben, kommt die praktische Umsetzung in den Kommunen kaum voran.
Besonders alarmierend: Nur 5 Prozent der Befragten sehen ihre Dienststellen derzeit „gut gerüstet” für das KI-Zeitalter – obwohl auf dem Berliner Gipfel die Integration künstlicher Intelligenz intensiv diskutiert wurde. „Die Kluft zwischen politischer Vision und dem Arbeitsalltag der Verwaltungsmitarbeiter wächst”, heißt es in der Pressemitteilung von d.velop.
Kann Deutschland seine digitalen Ambitionen überhaupt noch erreichen? Die Antwort der Betroffenen fällt eindeutig aus.
Schweiz: E-ID kommt – Inklusion bleibt Priorität
Die Schweiz verfolgt einen anderen Ansatz. Nach dem knappen Referendum-Ja zur staatlichen E-ID im Oktober 2025 (50,39 Prozent Zustimmung) beschleunigt die Regierung nun die technische Umsetzung. Die „Swiyu”-Wallet-App soll im Sommer 2026 starten.
Diese Woche feierte zudem die Allianz für digitale Inklusion Schweiz (ADIS) ihr einjähriges Bestehen. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hatte das Bündnis am 21. November 2024 im Zentrum Paul Klee in Bern lanciert. Die Mission: Rund 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung mit geringen digitalen Kompetenzen nicht zurückzulassen.
Die Anfang November veröffentlichte „Nationale eGovernment-Studie 2025″ von Digital Public Services Switzerland (DPSS) bestätigt die Notwendigkeit solcher Initiativen. Zwar zeigen sich Schweizer Unternehmen mit 68 Prozent Zufriedenheit mit digitalen Behördendiensten relativ zufrieden – doch Personalmangel auf Kantonsebene bremst den weiteren Ausbau erheblich.
Österreich: Vom Labor in die Praxis
Österreich positioniert sich weiterhin als „Innovationslabor” der Region. Neben dem diplomatischen Erfolg in Berlin konzentriert sich das Land auf konkrete Umsetzung. Beim „digiWERKSTATT”-Hackathon am 19. und 20. November 2025 im Haus der Digitalisierung in Tulln entwickelten Studierende, IT-Experten und Gemeindebedienstete gemeinsam Prototypen für lokale Verwaltungen.
Die Veranstaltung, organisiert vom Land Niederösterreich, brachte praktische Lösungen für automatisierte Rechnungsbearbeitung und digitales Terminmanagement hervor. „Die beste digitale Lösung ist nutzlos, wenn die Menschen sie nicht anwenden können”, betonte Staatssekretär Pröll. Die Initiative „Digital Überall” verzeichnete am 22. November 2025 ihren 1.000sten Workshop.
Die Akzeptanz von „ID Austria”, dem Nachfolger der Handy-Signatur, steigt kontinuierlich. Allein in Niederösterreich wurden über 1,3 Millionen Registrierungen gezählt. Das System ist mittlerweile vollständig in „FinanzOnline” integriert und bildet damit den zentralen Schlüssel zu österreichischen E-Government-Diensten.
Zwei-Geschwindigkeiten-Digitalisierung?
Die Entwicklungen der vergangenen Tage zeigen eine digitale Transformation mit unterschiedlichen Tempi. Auf der geopolitischen Bühne haben Deutschland und Österreich die EU erfolgreich hinter einer Vision digitaler Souveränität vereint – ein wichtiger Schritt für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit Europas. Die Berlin-Erklärung liefert das politische Mandat, um die Dominanz außereuropäischer Tech-Konzerne herauszufordern.
Das innenpolitische Bild ist komplexer. Die d.velop-Studie wirkt wie eine Realitätsprüfung: Ohne massive Investitionen in Personal und Infrastrukturmodernisierung werden hochrangige Vorhaben wie das OZG 2.0 an der Umsetzung scheitern. Die Schweiz bietet mit ihrem Fokus auf Inklusion (ADIS) und demokratische Legitimität (E-ID-Referendum) ein Alternativmodell, das öffentliches Vertrauen über Geschwindigkeit stellt.
Was kommt 2026?
Der Fokus wird sich auf die praktische Anwendung der Berlin-Erklärung verlagern. Bis Anfang 2026 soll die EU konkrete Beschaffungsrichtlinien auf Basis der Vereinbarung vorlegen. Für Deutschland besteht die unmittelbare Herausforderung darin, die Skepsis der eigenen Verwaltungsmitarbeiter zu überwinden – bevor die 2030-Ziele endgültig unerreichbar werden.
In der Schweiz wird der technische Beta-Test der E-ID-Wallet 2026 zum Lackmustest für die Fähigkeit der Regierung, sichere und benutzerfreundliche digitale Infrastruktur zu liefern. Der Erfolg dieser Initiativen hängt weniger von neuen Erklärungen ab – sondern davon, die Lücke zwischen der in Berlin beschworenen „digitalen Souveränität” und der Realität auf dem Gemeindeamt zu schließen.
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