Betriebsräte, Präsenzschulungen

Betriebsräte setzen Präsenzschulungen per Eilverfahren durch

18.12.2025 - 00:00:12

Ein neuer Rechtsleitfaden bestätigt: Betriebsräte können ihre Teilnahme an Präsenzseminaren notfalls gerichtlich erzwingen. Kosteneinsparungen allein rechtfertigen keine erzwungenen Webinare.

Das geht aus einer aktuellen Analyse im Fachjournal “Fokus Arbeitsrecht – Q4 2025” hervor, die an diesem Mittwoch veröffentlicht wurde. Die Auswertung hebt ein wegweisendes Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG Hessen) hervor. Es stärkt die Position der Arbeitnehmervertretungen im Streit um die angemessene Aus- und Fortbildung erheblich.

Das konkrete Urteil (Az. 16 TaBVGa 83/25) fiel bereits im Spätsommer. Seine volle strategische Bedeutung für die Planung des kommenden Schulungsjahrs 2026 wird jedoch erst jetzt deutlich. Der Leitfaden bestätigt: Betriebsräte haben ein schlagkräftiges Mittel, um Seminar-Teilnahmen auch dann durchzusetzen, wenn Arbeitgeber die Finanzierung in letzter Minute blockieren.

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Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Analyse betrifft das Eilverfahren. Bisher konnten Arbeitgeber Schulungsstreitigkeiten oft erfolgreich verzögern, bis das Seminar vorbei und der Anspruch gegenstandslos war. Das LAG Hessen hat nun klargestellt, dass Betriebsräte mit einer einstweiligen Verfügung erfolgreich ihre Teilnahme erzwingen können.

Das Gericht bejahte die erforderliche Eilbedürftigkeit, weil das Seminar unmittelbar bevorstand – im verhandelten Fall am 1. September 2025. Ohne gerichtlichen Schutz stünden die Ehrenamtlichen vor einem inakzeptablen Dilemma: Entweder die notwendige Schulung ausfallen lassen oder sie auf eigenes finanzielles Risiko besuchen.

“Das Gericht stellte ausdrücklich klar, dass von Betriebsratsmitgliedern nicht erwartet werden kann, das Risiko von Gehaltsabzügen oder Seminarkosten zu tragen”, heißt es in der Analyse. Diese Auslegung von § 37 Abs. 1 BetrVG entzieht dem finanziellen “Abschreckungseffekt” vieler Arbeitgeber die Grundlage. Für die Planung 2026 bedeutet das: Lehnt der Arbeitgeber die Kosten für einen gebuchten Kurs wenige Wochen vorher ab, sollte der Betriebsrat umgehend einen Antrag auf einstweilige Verfügung stellen – und nicht auf ein Hauptsacheverfahren warten.

Präsenz vs. Webinar: Das “Qualitäts”-Argument siegt

Der Streit “online vs. offline” ist seit der Pandemie ein Dauerbrenner. Arbeitgeber argumentieren häufig mit der Kosteneffizienz von Webinaren. Der neue Leitfaden unterstreicht jedoch, dass das LAG Hessen diese Logik klar zurückgewiesen hat.

Im entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber ein Präsenzseminar abgelehnt und ein günstigeres Online-Format in einem anderen Hotel vorgeschlagen. Das Gericht gab dem Betriebsrat recht und stellte klar: Dieses Gremium hat das Bestimmungsrecht über das Format der Schulung.

Zu den zentralen Punkten der Analyse gehören:
* Netzwerken ist essenziell: Das Gericht erkannte an, dass der Austausch unter Teilnehmern und mit dem Dozenten in Präsenz qualitativ einem Webinar überlegen ist.
* Frontalunterricht vs. Interaktion: Online-Formate verkämen oft zum “Frontalunterricht” mit höheren Hemmschwellen für Fragen oder spontane Debatten.
* Kostenargument des Arbeitgebers: Die bloße Tatsache, dass ein Webinar günstiger ist, macht ein Präsenzseminar noch nicht “unverhältnismäßig”. Solange die Kosten nicht exorbitant von marktüblichen Preisen abweichen, muss der Arbeitgeber zahlen.

Diese Klarstellung kommt zur rechten Zeit. Viele Anbieter haben in diesem Monat ihre Seminar-Kataloge für 2026 veröffentlicht – mit neuem Fokus auf Präsenzveranstaltungen nach Jahren der Hybrid-Dominanz.

Strategische Konsequenzen für die Planung 2026

Die Veröffentlichung des Rechtsleitfadens am 17. Dezember ist ein Weckruf für beide Seiten.

Für Betriebsräte rät die Analyse zu einem proaktiven Vorgehen. Beschlüsse über Schulungsteilnahmen sollten früh gefasst werden. Lehnt der Arbeitgeber den Antrag ab oder schweigt er sich aus, sollte das Gremium nicht zögern, ein Eilverfahren einzuleiten. Das LAG-Hessen-Urteil liefert eine Blaupause, um die nötige “Dringlichkeit” vor dem Arbeitsgericht darzulegen.

Für Arbeitgeber ist die Strategie des “Aussitzens” oder des Verweisens auf günstigere Online-Kurse nun mit hohem rechtlichen Risiko verbunden. Die Bestätigung, dass Betriebsräte die Zahlung per Verfügung erzwingen können, bedeutet: Obstruktion kann für das Unternehmen teuer werden. Es trägt dann nicht nur die Seminarkosten, sondern auch die Gerichts- und Anwaltskosten des Betriebsrats.

Kontext: Ein Jahr strenger Verfahrensdurchsetzung

Die Betonung verfahrensrechtlicher Strenge durch das LAG Hessen passt in ein Muster, das sich durch das gesamte Jahr 2025 zieht. Erst im November sorgte das gleiche Gericht (Az. 16 TaBVGa 118/25) mit einer spektakulären Entscheidung für Schlagzeilen: Es stoppte die laufende Betriebsratswahl beim Flughafenbetreiber Fraport per Eilantrag, weil eine Kandidatenliste zu Unrecht ausgeschlossen worden war.

“Die gemeinsame Linie zwischen dem Schulungsurteil vom August und der Fraport-Entscheidung vom November ist die Bereitschaft des Gerichts, per Eilverfahren sofort einzugreifen, um die korrekte Anwendung des BetrVG sicherzustellen”, erklärt die aktuelle Analyse. “Dies signalisiert einen Trend, bei dem Verfahrensrechte in Echtzeit und nicht erst rückwirkend geschützt werden.”

Ausblick: Der “Hybrid”-Konflikt geht weiter

Auch wenn die aktuelle Rechtslage das Wahlrecht des Betriebsrats für Präsenzschulungen begünstigt, warnen Experten: Die Definition der “Notwendigkeit” bleibt eine Einzelfallprüfung. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in der Vergangenheit klargestellt, dass Betriebsräte die Kosten des Arbeitgebers im Blick behalten müssen.

Die jüngste Rechtsprechung deutet jedoch auf eine Verschiebung der Beweislast hin. Für Arbeitgeber wird es immer schwieriger zu argumentieren, ein Webinar sei ein vollwertiger Ersatz für die interaktive Dynamik eines Seminarraums.

Rechtsexperten rechnen im ersten Quartal 2026 mit einer Zunahme von Eilanträgen vor Arbeitsgerichten in ganz Deutschland. Betriebsräte, bestärkt durch das LAG-Hessen-Präzedenzurteil, werden ihre Schulungspläne wohl entschiedener durchsetzen. Die Botschaft der Gerichte ist klar: Das Ehrenamt braucht wirksamen Schutz, und wirksame Schulung braucht das richtige Umfeld – selbst wenn dieses Umfeld mehr kostet als eine Zoom-Lizenz.

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