Arbeitszeitgesetz: Gewerkschaften und Wirtschaft im Clinch um die Acht-Stunden-Grenze
07.12.2025 - 20:59:12Berlin steht vor einem Arbeitszeit-Showdown: Während 29 Arbeitgeberverbände die Abschaffung der Acht-Stunden-Grenze fordern, zeigt eine DGB-Studie, dass 72 Prozent der Beschäftigten genau diese Obergrenze beibehalten wollen. Der Konflikt eskaliert zum Jahresende 2025 – und könnte die Arbeitswelt grundlegend verändern.
Die Fronten sind verhärtet: Am 5. Dezember veröffentlichten Arbeitgeber von der Handwerksbranche bis zum Fruchthandel einen gemeinsamen Appell an die Bundesregierung. Ihr Ziel? Die tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden soll durch eine wöchentliche Obergrenze ersetzt werden. Nur einen Tag zuvor hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) seinen “Index Gute Arbeit 2025” präsentiert – mit einem ernüchternden Befund zur Realität in deutschen Betrieben.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Fast 43 Prozent der Befragten arbeiten regelmäßig länger als acht Stunden täglich. Der Grund? Nicht etwa freiwillige Flexibilität, sondern Personalmangel und starre betriebliche Vorgaben. “Die Schere zwischen dem, was Beschäftigte wollen, und dem, wozu sie gezwungen werden, öffnet sich weiter”, warnte DGB-Chefin Yasmin Fahimi bei der Vorstellung in Berlin.
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Besonders brisant: Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) legte am 4. Dezember Daten vor, die zeigen, dass nach neun Arbeitsstunden das Unfallrisiko um 33 Prozent steigt. Zwölf-Stunden-Schichten bezeichnet die NGG als “Mammutbelastung”, die Beschäftigte körperlich nicht verkraften könnten. Längere Arbeitszeiten seien keine Lösung für den Fachkräftemangel, sondern ein Gesundheitsrisiko, das Menschen aus dem Arbeitsmarkt treibe.
Wirtschaft will Wochengrenze statt Tagesobergrenze
Die Arbeitgeberseite sieht das grundlegend anders. Ihr Argument: Das Arbeitszeitgesetz von 1994 sei in einer digitalisierten, globalen Wirtschaft schlicht überholt. “Unternehmen und Beschäftigte brauchen mehr Flexibilität, um auf Produktionsspitzen zu reagieren und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu ermöglichen”, erklärt Dr. Andreas Brügger vom Deutschen Fruchthandelsverband (DFHV).
Das Modell der Arbeitgeber: Solange die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt 48 Stunden nicht überschreitet – entsprechend den EU-Vorgaben –, sollte die Verteilung auf die Wochentage den Betriebspartnern überlassen bleiben. Faktisch würde dies Arbeitstage von bis zu zwölf Stunden ohne die aktuellen bürokratischen Hürden legalisieren. Eine Maßnahme, die aus Sicht der Wirtschaft notwendig sei, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
Das Timing des Appells – nur 24 Stunden nach den DGB-Zahlen – offenbart eine fundamentale ideologische Spaltung: Arbeitgeber betrachten Flexibilität als Werkzeug für Effizienz und Freiheit, Gewerkschaften sehen darin ein Einfallstor für Ausbeutung und Burnout.
Bundestag lehnte Arbeitszeitverkürzung ab
Der aktuelle Konflikt ist im Kontext jüngster Parlamentsentscheidungen zu sehen. Am 17. Oktober 2025 debattierte und verwarf der Bundestag einen Antrag der Linkspartei zur Senkung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden. Der Vorstoß, der auch eine strikt kontrollierte elektronische Zeiterfassung forderte, scheiterte an den Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU. Deren Begründung: Die bestehenden Regelungen seien ausreichend, der Fokus müsse auf Flexibilisierung statt Einschränkung liegen.
Diese parlamentarische Ablehnung hat die Arbeitgeberverbände ermutigt, ihre bevorzugte Reformrichtung zu forcieren – Ausweitung statt Verkürzung. Die Rechtslage bleibt allerdings komplex: Ein wegweisendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom Dezember 2024 (Az. 8 AZR 370/20) hallt durch das Jahr 2025 nach. Es legte fest, dass Teilzeitkräfte bei Überstundenzuschlägen nicht benachteiligt werden dürfen – ein Urteil, das präzise Arbeitszeiterfassung für Arbeitgeber finanziell kritisch macht.
Gerichte als Schiedsrichter?
Weitere juristische Präzedenzfälle verschärfen die Lage: Das Landesarbeitsgericht Hessen stellte am 2. Dezember 2024 (Az. 16 GLa 821/24) klar, dass Beschäftigte in Brückenteilzeit während dieser Zeit keine weitere dauerhafte Stundenreduzierung verlangen können. Diese Rechtsprechung begrenzt die Möglichkeit von Arbeitnehmern, ihre Arbeitszeit nach eigenem Wunsch anzupassen, und schafft eine zusätzliche Starrheit, gegen die sich Beschäftigte nun wehren.
Ohne klare gesetzliche Weichenstellung der Bundesregierung dürften die Gerichte auch künftig als primäre Entscheidungsinstanz fungieren. Für Personalabteilungen bedeutet dies: Obwohl das Gesetz noch nicht zur gewünschten “Wochengrenze” geändert wurde, war der Druck zur präzisen Arbeitszeitdokumentation nie höher – und das, während der politische Kampf um die Länge des Arbeitstages sich verschärft.
Ein Winter der Unzufriedenheit?
Die Bundesregierung steht unter Beschuss von beiden Seiten: Gewerkschaften mobilisieren rund um den Gesundheitsschutz und berufen sich auf den eindeutigen Willen der Belegschaften für eine Acht-Stunden-Grenze. Die Wirtschaftslobby beharrt darauf, dass die deutsche Wirtschaft ohne mehr Flexibilität stagnieren werde.
Doch was bedeutet das konkret für die kommenden Monate? Die Gewerkschaften dürften die Daten des “Gute Arbeit Index” in Tarifverhandlungen als Druckmittel einsetzen und den starken Wunsch nach kürzeren Arbeitstagen als Gegengewicht zu inflationsgetriebenen Lohnforderungen nutzen. Arbeitgeber könnten ihrerseits Lohnerhöhungen an genau jene Flexibilitäts-Zugeständnisse knüpfen, die Beschäftigte offenbar ablehnen.
Kein Wunder also, dass Experten von einem “Winter der Unzufriedenheit” sprechen. Der Kampf um das Arbeitszeitgesetz wird zum Symbol für eine grundsätzliche Frage: Wessen Freiheit wiegt schwerer – die der Unternehmen oder die der Beschäftigten?
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