Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Schein

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen: Der gelbe Schein verliert seine Macht

27.12.2025 - 22:44:12

Aktuelle Urteile erlauben Arbeitgebern, digitale AUs und zeitlich auffällige Krankmeldungen stärker zu hinterfragen. Die Beweislast kann auf den Arbeitnehmer übergehen.

Die hohe Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bröckelt. Aktuelle Gerichtsurteile erschüttern ein jahrzehntealtes Fundament des deutschen Arbeitsrechts. Besonders digitale Krankschreibungen und zeitlich auffällige Erkrankungen bieten Arbeitnehmern immer seltener Schutz vor einer fristlosen Kündigung. Das zeigen Analysen mehrerer Landesarbeitsgerichte aus der zweiten Hälfte des Jahres 2025.

Die Falle der Online-AU: Ohne Arztkontakt kein Schutz

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm setzt einen klaren Maßstab für digitale Gesundheitsdienste. Die Richter entschieden, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die über ein Online-Portal ohne jeglichen Arztkontakt eingeholt wurde, keinerlei Beweiskraft besitzt. Konkret ging es um einen Mitarbeiter, der einen kommerziellen Dienst nutzte und lediglich einen Fragebogen ausfüllte.

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Rechtsexperten bewerten solche „Fragebogen-AUs“ als nicht ausreichend. Sie erfüllen nicht die Mindeststandards einer ärztlichen Untersuchung. Das Gericht bestätigte, dass der Arbeitgeber die Bescheinigung ignorieren durfte. Schlimmer noch: Die Vorlage eines solchen Dokuments wurde als Täuschungsversuch gewertet und rechtfertigte eine fristlose Kündigung.

Verdächtige Umstände: Wenn das Verhalten den Schein entwertet

Nicht nur digitale Bescheinigungen sind angreifbar. Auch der klassische gelbe Zettel verliert seine schützende Wirkung, wenn die Begleitumstände unglaubwürdig erscheinen. Das demonstrierte ein Fall vor dem LAG Köln. Ein Busfahrer weigerte sich, eine unbeliebte Route zu übernehmen, gab sein Equipment zurück und meldete sich umgehend krank.

Das Gericht sah in diesem „zeitlichen Zusammentreffen“ von Konflikt und Krankschreibung einen begründeten Zweifel. Sobald die Beweiskraft der AU so „erschüttert“ ist, kehrt sich die Beweislast um. Der Arbeitnehmer muss dann seine Erkrankung lückenlos belegen – notfalls durch die Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht für ein Gerichtsverfahren. Eine Hürde, die kaum zu nehmen ist.

Die „passgenaue“ Erkrankung zum Kündigungstermin

Besonders heikel wird es bei Erkrankungen rund um das Ende des Arbeitsverhältnisses. Der Bundesarbeitsgerichtshof (BAG) hat seine Linie zu „passgenauen“ Krankheiten verschärft. Meldet sich ein Arbeitnehmer exakt am Tag seiner Kündigung oder Eigenkündigung krank und dauert die Erkrankung präzise bis zum letzten Arbeitstag, gilt die Beweiskraft der AU als formal erschüttert.

Diese Rechtsprechung, ursprünglich für Eigenkündigungen entwickelt, wurde 2025 auf arbeitgeberseitige Kündigungen ausgeweitet. Für Unternehmen bedeutet das mehr Spielraum: Sie können die Entgeltfortzahlung vorerst verweigern, bis der Mitarbeiter seine Arbeitsunfähigkeit konkret nachweist.

Was die neue Rechtslage für 2026 bedeutet

Die Urteile zeichnen ein klares Bild für das kommende Jahr: Der gelbe Schein ist kein Freifahrtschein mehr.

Für Arbeitgeber:
* Überprüfung erlaubt: Personalabteilungen dürfen Bescheinigungen hinterfragen, besonders bei Online-Anbietern ohne Arztgespräch oder bei auffälliger zeitlicher Nähe zu Kündigungen.
* Beweislast: Bei begründeten Zweifeln liegt das finanzielle Risiko und die Nachweispflicht beim Arbeitnehmer.

Für Arbeitnehmer:
* Hohes Kündigungsrisiko: Die Nutzung von „Tele-Arzt“-Diensten ohne echte Konsultation kann als Betrug gewertet werden und zur fristlosen Entlassung führen.
* Dokumentationspflicht: Bei echten Erkrankungen in konfliktträchtigen Phasen sollten Mitarbeiter detaillierte Nachweise über die Standard-AU hinaus parat haben.

Die Rechtslage hat sich gewandelt. Aus einem nahezu unwiderlegbaren Beweismittel ist eine widerlegbare Vermutung geworden – eine, die im digitalen Zeitalter immer leichter zu widerlegen ist.

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