Arbeitsgericht, Düsseldorf

Arbeitsgericht Düsseldorf schützt vulgäre Systemkritik

30.12.2025 - 16:15:12

Ein Grundsatzurteil des LAG Düsseldorf stellt klar, dass vulgäre Äußerungen, die sich gegen das System richten, nicht automatisch zur Entlassung führen. Die Beweislast für Arbeitgeber steigt.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat in einem Grundsatzurteil die Grenzen zwischen Kündigungsgrund und tolerierbarer Kritik neu gezogen. Selbst vulgäre Äußerungen rechtfertigen demnach nicht automatig eine Entlassung, wenn sie sich gegen das System richten und nicht gegen die Person.

Der Fall der „Schichtmutter“

Im Zentrum des Verfahrens (Az. 3 SLa 699/24) stand ein nächtlicher Konflikt in einem Logistikzentrum. Ein seit 2020 beschäftigter Mitarbeiter geriet im August 2024 mit einer neuen Schichtleitung aneinander. Der Arbeitgeber warf ihm vor, gegenüber der Supervisorin auf Türkisch gesagt zu haben: „Du hast die Mutter der Schicht gefickt“. Dies wertete das Unternehmen als schwere persönliche Beleidigung und kündigte ordentlich.

Der Mitarbeiter bestritt diese Übersetzung vor Gericht. Er behauptete, ein türkisches Idiom verwendet zu haben: „Du hast die Schichtmutter weinen lassen“. Damit habe er den immensen Druck und das chaotische Management kritisieren wollen – nicht die Person angreifen. Die sprachliche Nuance sei in der Übersetzung und durch den Lärm der Halle verloren gegangen.

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Systemkritik statt Formalbeleidigung

Das Gericht folgte in seiner nun rechtskräftigen Entscheidung dieser differenzierten Betrachtung. Selbst bei Annahme der vulgären Formulierung sah es keine ausreichende Grundlage für eine Kündigung. Die Richter klassifizierten die Äußerung als „vulgäre Kritik an der Schichtführung“, nicht als persönliche Beleidigung.

Drei Faktoren waren dabei entscheidend:
* Ziel der Kritik: Der Angriff richtete sich gegen die „Schicht“ und ihr Management – also das System.
* Kontext: Die Äußerung fiel spontan in einer hochstressigen Konfliktsituation mit üblichem „rauem Ton“.
* Verhältnismäßigkeit: Trotz früherer Abmahnungen war die Kündigung unverhältnismäßig. Das Interesse des Mitarbeiters am Arbeitsplatzerhalt überwog.

„Der Spruch zeigt: ‚Unflätig‘ ist nicht immer gleich ‚rechtswidrig‘, wenn es um Frust über Arbeitsbedingungen geht“, kommentieren Rechtsexperten die Entscheidung.

Wo verläuft die Grenze zum Persönlichen?

Das Urteil präzisiert die sogenannte Raurechtsprechung. Während persönliche Beleidigungen meist eine fristlose Kündigung rechtfertigen, kommt es nun stärker auf das Ziel des Angriffs an.

Rechtsexperten des Expertenforums Arbeitsrecht (EFAR) sehen die Beweislast für Arbeitgeber gestiegen. Unternehmen müssen nun belegen, dass tatsächlich die Person herabgewürdigt werden sollte – nicht nur die Arbeitssituation kritisiert wurde.

„Die Gerichte schauen genauer auf den kommunikativen Kontext“, so die Analyse. „Was im Büro unverzeihlich klingt, kann in der stressigen Logistik als situative Kritik noch toleriert werden.“

Das bedeutet das Urteil für die Praxis 2026

Für Personalabteilungen ergeben sich klare Handlungsempfehlungen aus dem wegweisenden Urteil:

  1. Übersetzung prüfen: Bei mehrsprachigen Teams muss die genaue Bedeutung und der kulturelle Kontext von Äußerungen geklärt werden.
  2. Ziel unterscheiden: Ist die Aggression gegen die Person oder gegen Prozesse und Führung gerichtet?
  3. Abmahnung zuerst: Bei vulgärer Systemkritik ist eine Abmahnung fast immer der erforderliche erste Schritt vor einer Kündigung.

Die Entscheidung wird voraussichtlich künftige Fälle mit spontanen Ausbrüchen beeinflussen, besonders in Branchen mit hohem psychischen Druck. Die Botschaft aus Düsseldorf zum Jahresende ist klar: Die Würde der Vorgesetzten ist geschützt – aber auch das Recht der Mitarbeiter auf Frustrationsäußerung. Selbst wenn sie dafür die falschen Worte wählen.

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