Aktien, Aktienkurse

Wen der Bannstrahl des Präsidenten trifft…

Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

es hat eine Weile gedauert, bis die tatsächlichen Gefahren erkannt wurden. Aber zumindest hierzulande konzentrieren sich Öffentlichkeit und Anleger bisher immer noch auf einen Nebenkriegsschauplatz – quasi die Spitze des tödlichen Eisbergs. Die Rede ist von Trumps „Huawei-Bann“.

USA in Not?

Dieses Dekret von US-Präsident Trump (genauer: seine executive order), mit dem er den nationalen Notstand für den Telekommunikationssektor der USA ausgerufen hat, wurde bereits in der Vorwoche erlassen und rechtsgültig.

Es kann als „Lex Huawei“ gelten, denn nach allgemeiner Auffassung soll damit im Rahmen einer weiteren Verschärfung des Handelsstreits mit China vor allem der chinesische Telekommunikationskonzern getroffen werden, der inzwischen nicht nur der zweitgrößte Smartphone-Hersteller der Welt ist, sondern auch laut dem Marktforscher IHS mit 28 % Marktanteil auch der größte Ausrüster von Telekommunikationsnetzen.

Und obwohl natürlich offiziell seitens der US-Regierung von einem Boykott Huaweis nicht die Rede ist, landete der Name des Konzerns samt etlichen seiner Tochtergesellschaften sofort auf einer entsprechenden „Schwarzen Liste“ des US-Justizministeriums.

Exkurs: Regieren by Dekret

Mit solchen executives orders können US-Präsidenten unter Umgehung des Parlaments Regeln mit Gesetzeskraft erlassen. Üblicherweise bleiben sie auf die unmittelbare Regierungsarbeit beschränkt, regeln Details „richtiger“ Gesetze oder werden in Katastrophen-, Not- oder Kriegsfällen erlassen. Die weitgehenden Vollmachten des US-Präsidenten erlauben diesem aber einen recht freizügigen Umgang mit diesem Instrument.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nutzten die US-Präsidenten diese Möglichkeit ausgiebig – jeder US-Präsident zwischen 1901 und 1953 erließ mehr als 100 solcher Dekrete pro Jahr; im Durchschnitt waren es sogar mehr als 200 pro Jahr. Im kalten Krieg (1953-1989) sank die Zahl auf durchschnittlich 65 pro Jahr, was im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten immer noch recht hoch ist: Zwischen 1989 und heute wurden im Durchschnitt nur noch 41 executive orders pro Jahr erlassen.

Donald Trump kommt mit inzwischen 109 dieser Dekrete auf einen Durchschnitt von gut 47 pro Jahr und damit auf den höchsten Wert seit Ronald Reagan.

Was der Huawei-Bann vordergründig bedeutet

Im jüngsten Fall hat nun Präsident Trump unter Berufung auf einen „Notstand“ in der US-Telekommunikation US-Unternehmen den Einsatz von Systemen untersagt, die als Risiko für die nationale Sicherheit der USA angesehen werden. Die Hersteller solcher Systeme stehen zusammen mit Huawei auf der schon erwähnten „Schwarzen Liste“.

Aber auch Lieferungen an Unternehmen auf dieser Liste sind für US-Unternehmen nun nur noch per Sonderlizenz möglich, die in der Regel verweigert wird. Noch kritischer ist, dass selbst derzeit schon genutzte Systeme dieser Unternehmen im US-Telekomsektor damit ab sofort de facto illegal sind – also insbesondere solche von Huawei. Betroffen sind zwar „nur“ kleinere Kommunikationsanbieter (die sich die teureren Systeme von Ericsson oder Nokia nicht leisten konnten oder wollten), aber gerade deren Finanzkraft zum Austausch der Komponenten ist begrenzt. Wie dieses Problem gelöst wird, ist derzeit noch offen.

Gut, diese Probleme scheinen aus deutscher Sicht weit weg zu sein. Und so erhielt Trumps Huawei-Bann hierzulande erst Anfang dieser Woche größere Aufmerksamkeit, und zwar, als Google, Microsoft, Intel und andere US-Unternehmen verkündeten, Huawei aufgrund dieses Dekrets nicht mehr zu beliefern.

Noch scheinen die Probleme weit weg zu sein

Seitdem scheint die größte Sorge bei uns zu sein, dass Smartphone-Kunden von Huawei und deren Schwestermarke Honor für ihre Geräte bald keine Apps mehr aus dem Google Store laden können und keine Betriebssystem-Updates erhalten. Damit wären Huawei-Smartphones de facto in Europa unverkäuflich und deshalb könnten die Handypreise mangels Konkurrenz steigen. Doch diese oberflächlichen Überlegungen blenden die eigentlichen Gefahren komplett aus.

Das gilt auch für die Aktienanleger, was sich daran zeigt, dass die Kurse der großen Indizes in den vergangenen Tagen trotz einiger Turbulenzen recht robust blieben. Größere Kursverluste sahen in den USA vor allem Aktien der offensichtlichsten Verlierer des Huawei-Banns aus dem Technologiebereich (und natürlich alle „China-Aktien“).

Ein Giftpfeil für die Weltwirtschaft?

Diese Sorglosigkeit ist gefährlich, denn unter Umständen könnte Trumps Huawei-Bann zum Giftpfeil für die Weltwirtschaft zu werden. Denn schließlich sind auch ausländische Unternehmen davon betroffen, wenn sie US-Technik verwenden und an Huawei und Co. liefern. So haben schon der deutsche Chiphersteller Infineon, der japanische Elektronikkonzern Panasonic, der britische Chipdesigner ARM und andere die Zusammenarbeit mit Huawei eingeschränkt. Deren US-Töchter könnten ins Fadenkreuz der US-Justiz geraten, wenn sie oder der ausländische Mutterkonzern gegen solche Auflagen verstößt.

Einen aufschlussreichen Einblick in die Folgen dieser Politik geben die US-Sanktionen gegen Iran, die natürlich formal nicht für ausländische Unternehmen gelten, aber welche die US-Justiz derart strikt auslegt, dass sie die US-Töchter von Firmen für Verstöße der Mutter haftbar macht. Ob sie damit am Ende durchkommen würde, ist zwar offen, aber neben äußerst negativer Publicity wären solche Verfahren mit hohen Kosten verbunden und selbst im Erfolgsfall könnte ein Unternehmen in den USA einfach ebenfalls auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt werden – und damit weitere Geschäfte in den USA und mit US-Firmen abschreiben. Ein solches Risiko wollen ausländische Firmen wegen des geringen Umsatzes im Iran nicht eingehen – und haben sich daher dem entsprechenden US-Diktat gebeugt.

Wenn Trumps Bannstrahl weitere Kreise zieht…

Der Ausfall des Iran-Geschäfts lässt sich verschmerzen, aber im Fall von Huawei liegen die Dinge doch etwas anders. Wie gesagt, Huawei ist mittlerweile ein Big Player im weltweiten Telekommunikationsgeschäft. Entsprechend groß und vielfältig sind die Lieferketten des Konzerns. So lägen bei europäischen Mobilfunkanbietern nach Schätzungen der Wirtschaftswoche womöglich hunderttausende unverkäufliche Huawei/Honor-Smartphones auf Lager, wenn die Kunden die Geräte weiterhin verschmähen und keine andere Lösung gefunden wird. Auch der für den Sommer geplante Marktstart von Huaweis Falthandy Mate X steht auf dem Spiel.

Ein solcher Umsatzausfall träfe nicht nur Huawei empfindlich, sondern auch seine Zulieferer. Und dabei macht es keinen Unterschied, ob diese aus den USA sind oder nicht bzw. US-Technik an Huawei geliefert haben oder nicht – wenn Huawei nichts verkauft, verkaufen sie ebenfalls nichts. Erinnern Sie sich an den Aufruhr an den Märkten, den im November 2018 die Nachricht auslöste, dass Apple seine Produktionszahlen für das iPhone reduziert. Reihenweise brachen die Kurse (kleinerer) Zulieferer ein. Solche Reaktionen fehlen bisher noch an den Börsen – dabei produziert Huawei rund 50 % mehr Smartphones als Apple!

Und bisher reden wir nur über einen – wenn auch zugegeben sehr großen – chinesischen Konzern. Wenn weitere chinesische Unternehmen auf der „Schwarzen Liste“ der USA landen, verstärken sich die Probleme entsprechend. Das kann dazu führen, dass auch Unternehmen in anderen Ländern in Lieferschwierigkeiten geraten – weil sie z.B. Handykomponenten fertigen und entweder Vorprodukte von chinesischen Lieferanten beziehen, die sie nicht mehr einsetzen dürfen oder diese Lieferanten aufgrund eines Boykotts nicht mehr lieferfähig sind. Landet z.B. ein wichtiger Apple-Lieferant auf dieser Liste, wäre womöglich die iPhone-Produktion in Gefahr.

Was eine weitere Eskalation der Sanktionspolitik bedeuten würde

Aber wegen ein „paar Handys“ mehr oder weniger bricht die Weltwirtschaft natürlich nicht zusammen. Kritisch wird die Lage, wenn China seinerseits ähnliche Maßnahmen ergreift. Dann kämen womöglich ganze Lieferketten zum Stillstand, die mangels Kapazitäten vermutlich kaum anderweitig neu geknüpft werden könnten.

Zudem zielt Trumps Dekret auf den Telekommunikationssektor als einen derzeit ganz neuralgischen Punkt: Weltweit arbeiten Netzwerkausrüster, Mobilfunkanbieter, deren Zulieferer, aber auch andere (z.B. deutsche Automobilhersteller) an der Entwicklung und dem Aufbau der neuen Hochgeschwindigkeitsnetze nach dem sogenannten 5G-Standard.

Das Fatale daran ist, dass ausgerechnet Huawei führend ist in der 5G-Technologie. Die Konkurrenten Nokia und Ericsson sind nicht nur teurer, sondern hinken auch technisch deutlich hinterher. Zudem hat Huawei seine Systeme mittlerweile in rund 170 Ländern installiert und beliefert nach eigenen Angaben bereits 45 der 50 größten Telefonanbieter.

Wichtige Zukunftstechnologien, die 5G nutzen– vom autonomen Fahren bis zur Telemedizin – stünden auf der Kippe oder würden massiv verzögert, wenn Trumps Bann die Liefer- und Servicefähigkeit von Huawei ähnlich massiv beeinträchtigt, wie vor einem Jahr beim Konkurrenten ZTE geschehen. Anders als bei ZTE hätte dies kurz- bis mittelfristig auch gravierende Folgen für viele andere Unternehmen und wichtige Wirtschaftszweige weltweit.

Prinzip: weiter hoffen

Derzeit ist zwar eine solche Eskalation noch nicht absehbar. Aber dieses Gedankenspiel zeigt, dass Trumps „Lex Huawei“ zumindest das Potenzial hat, die Weltwirtschaft in eine Rezession zu stürzen – ein Aktien-Crash inklusive.

Angesichts dieser Perspektiven bleiben die Aktienmärkte bisher fast sträflich gelassen. Sie rechnen wohl weiterhin damit, dass alles nicht so schlimm wird. Schließlich haben ganz offensichtlich auch alle bisherigen Eskalationsstufen im Handelsstreit Wirtschaft und Märkten nicht merklich geschadet – wenn man von den jüngsten kräftigen Einbrüchen der Stimmung in den Unternehmen diesseits und jenseits des Atlantiks absieht (siehe Börse-Intern vom 23.05. und 24.05.2019)

Erste Investoren flüchten schon

De facto setzen also die Aktienanleger mit ihrer Gelassenheit darauf, dass Trump auf dem jetzt eingeschlagenen Weg nicht weitergeht – ein gewagtes Kalkül. Andere Marktteilnehmer sind da kritischer: So sackte der Ölpreis in dieser Woche deutlich ab, was als mögliches Zeichen für eine bevorstehende Konjunkturschwäche gedeutet werden kann. Und auch die Flucht in die „sicheren Häfen“ der Anleihen geht weiter – obwohl selbst die 10-jährigen Bundesanleihen längst wieder negative Rendite bieten. Erste Anleger bringen also schon ihre Schäfchen ins Trockene.

Für Investoren steht also viel auf dem Spiel, wenn sich die Aktienmärkte anders besinnen. Aber wie so häufig bietet die Charttechnik gute Anhaltspunkte: Der S&P 500 konnte in der Vorwoche die wichtige 2.800-Punkte-Marke erfolgreich verteidigen. Solange das so bleibt, droht keine akute Gefahr.

Wenn der Kurs dieses Niveau aber nach unten bricht, könnte die nächste Abwärtswelle beginnen. Diese könnte – als Teil einer größeren ABC-Korrektur – den S&P 500 hinab bis zu 2.400 Punkten führen bzw. auch an das darunter liegende Tief vom Dezember 2018. Damit wäre dann die erwartete große Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau endgültig etabliert.

Mit besten Grüßen

Ihr Torsten Ewert

 (Quelle: www.stockstreet.de)

@ ad-hoc-news.de | 28.05.19 08:40 Uhr