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Zurück zu den Schwarzwurzeln

Die Geschichte von German Gold, Baselbieter Röteli und Pink Matina sind die Vorboten des nahenden Endes von Globalisierung und Normierung in der Küche.

Vor wenigen Jahrzehnten waren die Küchen der Welt im wahrsten Sinne des Wortes lokal und wer reiste, lernte neben Ländern und Leuten auch die Küchen kennen. Nicht nur Marco Polo brachte mit der Nudel ein Souvenir aus der weiten Welt mit nach Hause. Das Düsenzeitalter brachte neben der leckeren Flugmango – keine Frage, eigentlich wächst eine Mango am Baum und hat keine Flügel, aber was tut man nicht alles für die Reifung – auch das fliegende Pangasius-Filet, dessen Antibiotika-Gehalt viele Apotheker an ihrem Monopol zweifeln lässt und die gemeine Schlammgarnele, deren Heimat bundesdeutsche Klärbecken als Mineralwasserquellen erscheinen lässt.

Erst vor wenigen Jahren begann der Trend der regionalen und saisonalen Küche sich im größeren Umfang Bahn zu brechen. Neue Köstlichkeiten aus vergessenen Zeiten kamen zurück auf die feine Tafel. Viele Köche wurden zum Gärtner, wenn auch nur in Teilzeit.

Der Weltbürger entdeckte die ursprünglichen, regionalen Küchen der Toskana, Andalusiens und der Normandie und stellte fest, dass die Regionen ihre eigenen Produkte, Techniken und Geschmäcker haben und dass ein frisches und originäres Produkt auch das lokale Flair verkörpert und benötigt. Viele einzigartige Erzeugnisse unter südlicher Sonne am Meer genossen sind wunderbar, am Berliner Wannsee dagegen nur noch fahler Nachklang.

Die Normierung der Mittel zum Leben hat regionalen Unterschieden und differenzierten Sorten und Geschmäckern den Garaus gemacht. Ambitionierte Köche haben teilweise, auch unter dem Druck des Mangels, angefangen, diesen Prozess umzukehren und sich vor Ort mit den aktuellen Angeboten auseinanderzusetzen und ihre Küchen weiterentwickelt: zurück zu ihren (Schwarz)-Wurzeln. Rübe statt Süßkartoffel, Topinambur statt Artischocke.

Es kann und darf nicht nur eine Tomate geben, auch die Auswahl zwischen „mit Thunfisch-Gen“ und „ohne Thunfisch-Gen“ reicht nicht. Gemeint ist das Haltbarkeitsverlängerungs-Gen des Thunfisches. Neben dem ambitionierten mendelaffinem Hobby- und Profizüchter oder Koch hat auch die Industrie reagiert und das Angebot wächst mit jeder Saison. Statt einer Sorte Tomaten gibt es vielfach eine Handvoll und der lokale Erzeuger hat bereits einige Dutzend im Angebot. Die Reise geht von der Roma, gezogen in der monokulturellen Plastikwelt im mondgleichen Monokulturghetto, zur vielfältigen und differenzierten Tete de Venus, handverlesen und einzeln gestreichelt vor der Ernte.

Die systemrelevanten Big Five des lebensmittelindustriellen Komplexes sind nicht mehr alternativlos. Auf immer mehr Märkten, gemeint ist nicht der virtuelle, treffen sich das Produkt und der Konsument – hoffentlich nicht in Form fliegender Fische am Stand des Fischhändlers Verleihnix – persönlich. Nicht nur der immer frisch eingefrorene Pangasius erinnert an Ötzi, das Trockenfleischwunder aus den Alpen. Auch das ein oder andere Eiszeithähnchen wird immer mehr der Konkurrenz des Neuen und Guten und Besseren ausgesetzt. Wann werden Gäste nicht nur aus lebenden Fischen und Hummern, sondern auch aus dem Garten auswählen, was auf den Tisch kommt? Wann kommt die Grand Cru für Tomate, Gurke und Co?

Helmut Schulz

@ ad-hoc-news.de | 07.08.13 10:32 Uhr