Allgemeines, Küche

Wann gibt´s mal richtig deutsches Essen?

Welch‘ ein Trauma für die Hugenotten. Fanden sie vor über 300 Jahren eine spartanische Küche in der preußischen Hauptstadt vor und brachten aus eigenem Überlebenstrieb französische Haute Cuisine, Flair und Raffinesse mit. So gut es eben ging. Anstelle des Rotweins als Sauce mussten da schon mal Holunderbeeren reduziert werden. Dann führten die Gastro-Pioniere den Rotwein ein und mit ihm die urtypische Berliner Boulette, damals noch ohne Kartoffelsalat – die olle Knolle kam erst fast 60 Jahre später nach Preußen. Das Berliner Tartar brachten die Kosaken. Der Aufbruch Preußens nach Deutschland bescherte Berlin Weltstadt-Status und kulinarischen Anspruch. Die ersten Blüten der Berliner Gastronomie trugen die Namen Borchardt, Adlon und Aschinger.

Kassler und Soleier als Vorboten von Currywurst und Döner. Oh Schreck: Globalisierung in der Gastronomie. Das kulinarische Kulturgut ist bedroht. Die Sarazinierung der Küche in Berlin wird nicht nur an Sarahwienerschen Desserts deutlich. Kann der Koch kein Eisbein zubereiten? Liefert der Gastroservice kein Sauerkraut? Will der Gast nur noch Sushi, Pasta, Schnitzel? Weltweit trumpfen die deutschen Köche auf – von Quito über Kapstadt nach Shanghai keine Metropole ohne deutsche Mütze. Nur in Berlin herrscht gastronomische Ohnmacht an der heimischen Herdfront. Die bayerische Küche schleift – ähnlich den nicht mehr wahrnehmbaren Überresten der Mauer - die Berliner Menükarten; Haxe statt Eisbein, Leberkäs statt Kassler Rippenspeer, der Pfannkuchen – im Westen als Berliner annektiert– räumt das Feld für Apfelstrudel, Baklava und Crepes. Berlin, eine touristische Hochburg mit Potential, punktet mit Kultur und Kiez, nur die Küche ist austauschbar. Bratkartoffeln mit Sülze, Brühwürstchen, Eintopf, Braten - alles Erinnerungen an längst vergangene Zeiten vor der Tiefkühlpizza.

Ganz Gastroland ist besetzt mit Hamburgerbuden, Pizzerien und Sushibars. Ganz? Nein, ein kleiner Haufen unbeugsamer, innovativer Köche und Gastronomen setzen auf den konservativen, aber kreativen Trend und reanimieren die regionale Küche. Dazu gehört auch der Versuch geschäftstüchtiger Unternehmer, der sich vergrößernden Nachfrage von Touristen nach der Berliner Küche eine totgebratene Leber als Original „Berliner Art“ zu verkaufen. Wenn die „Berliner Art“ schlechte Qualität zu überhöhten Preisen ist, dann passt das auch zu den wirklich kalten Eisbeinen in der Massenabspeisung in original Berliner Touristenfallen.

Wann kommt die Renaissance der deutschen Küche in Berlin? Sobald ein chinesischer Staatskonzern die Idee hat, mit deutschem Essen die Welt und auch Deutschland zu erobern?

@ ad-hoc-news.de | 04.07.13 11:16 Uhr