Energiekrise, Russland+++Gazprom

“Peak gas” statt “peak oil” !?

+++Droht eine Energiekrise in Russland?+++Gazprom steht in der Pflicht+++Turkmenistan birgt Konfliktpotential+++Gazprom verdrängt Shell beim Sakhalin2-Projekt+++Nach neuem Allzeit-Hochs wird die Luft an der Moskauer Börse dünner+++

Der russische Aktienmarkt erfreut die Anleger zum Jahresende mit einem neuen Allzeit-Hoch. Der RTS-Index erreichte mit 1864 Indexpunkten ein Kursplus von 65,64% auf USD-Basis. Schon im Vorjahr zählte die Moskauer Börse mit einem Plus von 80% zu den Top-Perfomern der Welt. Dabei verschlechterte sich das Image Russlands im Rahmen der dubiosen Polonium-Auftragsmorde in den letzten Wochen erheblich. Die Luft wird angesichts der neuen Rekordstände jetzt immer dünner. Die Stimmung könnte kippen, wenn zusätzlich außer der Auftragsmord-Serie noch einige Belastungsfaktoren hinzukommen. Der hohe Ölpreis von über 62 USD/Barrel stützt hingegen noch den Markt. Selbst der Kurs des Blue Chips Gazprom konnte sich seit Mitte 2005 von 10 auf 35 € mehr als verdreifachen. Damit avancierte Gazprom mit einer Marktkapitalisierung von 262 Mrd. USD zum viertgrößten Industriewert der Welt. Gazprom Chef Miller hat sogar die Ambitionen in spätestens 10 Jahren die Nummer 1 der Welt im Energiesektor zu werde – noch vor ExxonMobil. Durch einen Rekordgewinn von über 20 Mrd. USD in diesem Jahr ist Gazprom auch der größte Steuerzahler Russlands. Im nächsten Jahr sollen die Gaspreise in Russland um 15% erhöht werden, was die Profitabilität weiter steigern wird. Kein deustches Unternehmen erreicht die Größe und Gewinnsumme des russischen Energiegiganten, selbst EON nicht, die über die Tochter Ruhrgas AG mit 6% an Gazprom beteiligt sind. Im Vergleich zu Gazprom wirkt EON jedoch wie ein Zwerg. Über die Gazprom-Tochter Gazprombank, die im nächsten Jahr ein IPO plant, wurden schon eine Reihe von bedeutsamen Beteiligungen im Energiesektor wie bei UES und Mosenergo eingegangen. Gazprom zeigt offensichtlich auch Interesse an RWE und mithin dem deutschen Stromendkunden. Auch städtische Versorger stehen bei Gazprom in Deutschland auf der Einkaufsliste. Schalke 04 soll nun als deutshcer Werbeträger das angeschlagene Image von Gazprom aufpolieren. Sowohl Gazprom als auch Schalke 04 wollen in die Championsleague. So mancher deutscher Politiker macht sich hingegen Sorgen um die Versorgungssicherheit und dass das Gas als politische Waffe benutzt wird wie das Anfang des Jahres offensichtlich schon in der Ukraine der Fall war. Insofern kommt der geplante Mega-Merger von Statoil und Norsk Hydro aus Norwegen nicht ganz ungelegen, da dadurch ein gewisses Gegengewicht zum Energiegiganten Gazprom in Europa entsteht. Zudem gibt es Befürchtungen, dass Gazprom schon im nächsten Jahr seinen nationalen und internationalen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, da mit einer Versorgungslücke durch unzureichende Investitionstätigkeit gerechnet wird. Insgesamt gibt es 140 Trillionen Kubikmeter Gasreserven der Welt. Gazprom besitzt zwar 35 bis 40% der Gasreserven, wobei die potentiellen Reserven sogar bei 235 Trillionen Kubikmeter Gas liegen dürften. Die meisten großen Gasvorkommen sind aber schon zur Hälfte ausgebeutet und sind nicht mehr so ergiebig wie in den Vorjahren. 80 Prozent des russischen Gases wird in West-Sibirien in den Feldern Urengoi, Jamburg, Medweschje und Sapoljanorje gefördert, wo mit Ausnahmen des jungen Feldes Sapoljanoje die Produktion schon abnimmt. So rechnet der russische Rohstoffexperte Viktor Gawrilow vor, dass schon im nächste Jahr eine Versorgungslücke in Höhe von 4 Mrd. Kubikmeter Gas und in den Folgejahren von 25 bis 30 Milliarden Kubikmeter Gas entstehen könnte. Und zwar produziert Gazprom selbst nur 600 bis 620 Mrd. Kubikmeter Gas; benötigt werden aber 729 Mrd. Kubikmeter Gas. Der Rest wird von Turkmenistan importiert. Um nicht von Gazprom abhängig zu werden, bemüht sich heute schon die Ukraine, mehr Gas aus Turkmenistan direkt zu importierten und auch Turkmenistan will selbst mehr Direktexporte ins Ausland unter Umgehung von Gazprom bzw. der vorgeschalteten Gesellschaft RosUkrEnergo erreichen. Die Ukraine bezieht 73% der Gasimporte aus Turkmenistan, was aber Gazprom mittelbar zugerechnet wird, zu 13% aus Usbekistan und zu 14% aus Kasachstan. Alle diese Gasimporte laufen aber über das JV RosUkrEnergo. Nach dem Tod des turkmenischen Diktators Saparmurat Niyazov, der auch maßgeblich für die Entscheidungen von der staatlichen Gasgesellschaft Turkmen Gas verantwortlich war, könnte sich die Situation im nächsten Jahr zuspitzen, falls Turkmenistan nicht seinen Lieferverpflichtungen gegenüber Gazprom bzw. RosUkrEnergo nachkommt. Turkmenistan exportiert den Großteil des produzierten Gases über das JV RosUkrEnergo – bestehend aus Gazprom und zwei ukrainischen Gesellschaften – in die Ukraine und den Rest nach Iran. Nun stellt sich die Frage, wer Nachfolger von Niyazov wird und welcher politische Kurs dann verfolgt wird. Der totalitäre, repressive Diktator Niyazov verfolgte bisher – möglicherweise korrumpiert - traditionell einen pro-russischen Kurs. Viele ehemalige Minister landeten im Gefängnis so wie Boris Shichmuradov, der ehemalige Außenminister. Sein Sohn führt jetzt die Partei „Nationale Demokratiebewegung in Turkmenistan“ an, die einen Systemwechsel und mehr Demokratie schon lange herbeisehnt. Es könnte sein, dass Amerika seinen Einfluss über Turkmenistan nach dem Vorbild von Georgien und Ukraine durch eine starke Opposition erhöhen will und eine freiheitliche Demokratie propagiert wird, die zu einem Systemwechsel führen könnte. Falls dieser militärisch gelöst wird, wäre dies die schlechteste Lösung für alle Beteiligten. Gazprom würde bei einem Lieferstopp sofort darunter leiden und die Ukraine auch. Gazprom ist also trotz der enormen Gasreserven sehr verwundbar. Auch Wirtschaftsminister Gref mahnt immer wieder an, dass es zu Versorgungsengpässen in Russland kommen könne, zumal wenn die eigene Wirtschaft sehr stark wächst und daher mehr Energie benötigt. Bei den neuen Großprojekten Schtockmann in Barentsee, an dem auch Norsk Hydro interessiert ist, der Jamal-Halbinsel und in Kowytka in Ostsibirien handelt es sich um geologisch sehr problematische Gasgebiete, die nach Einschätzung von Gawrilow im Fall der Jamal-Halbinsel sogar zu einer Umweltkatastrophe (Überflutung) führen können. Insofern ist auch das dringliche Begehren von Gazprom verständlich, beim Sakhalin2-Projekt mit ins Boot zu kommen. Wegen angeblicher Verletzung von Umweltauflagen war Shell jetzt unter den Druck der russischen Regierung bereit, 27,5% des zuvor 55%-igen Anteils am Sakhalin2-Projekt an Gazprom zu verkaufen. Da auch die japanischen Mitsui und Mitsubishi 12,5 bzw. 10% ihre Anteile abgaben, ist jetzt Gazprom mit 50%+1 Aktie an dem Sakhalin2-Projekt mehrheitlich beteiligt, was gegenwärtig das größte Gasprojekt der Welt mit geschätzte Gesamtkosten von über 20 Mrd. USD ist. Andernfalls wäre Shell mit Milliardeninvestitionen zur Erreichung der Umweltauflagen belastet worden. Gazprom zahlt als Ausgleich 7,45 Mrd. USD, was in etwas mehr als ein Quartalsgewinn ausmacht. Im 2. Quartal 2006 sank der Nettogewinn um 24% von 6,5 auf 5 Mrd. USD. Die Reserven werden vor der russischen Pazifik-Insel auf 150 Millionen Tonnen Öl und 500 Milliarden Kubikmeter Gas geschätzt. Noch sitzen wir in Deutschland alle im warmen und freuen uns auf die (polnische) Weihnachtsgans, die für Russlandinvestoren wegen der hohen Kursgewinne diesmal besonders fett ausfallen dürfte. Fragt sich nur wie lange noch. Vielleicht werden wir uns nolens volens nichts so sehr um das Thema „peak oil“ (=Endlichkeit der effektiv nutzbaren Ölreserven und abnehmende Produktion), sondern schon im neuen Jahr um das Thema „peak gas“ Gedanken machen müssen. Na denn, Prost Neujahr! Hinweis: am 12. Januar 2007 in Hamburg wird der Autor beim ganztägigen, kostenlosen Börsenseminar von Trading-house.net AG einen Kurz-Vortrag über die „Handelsmöglichkeiten in Osteuropa“ halten. Anmeldung unter www.trading-house.net
@ ad-hoc-news.de | 23.12.06 21:17 Uhr