Donald Trump heizt in Washington seine Anhänger mit seinen Behauptungen zu angeblichem Wahlbetrug an.
07.01.2021 - 00:24:38Gewaltausbruch vor Kapitol - Chaos in Washington - Proteste von Trump-Anhängern arten aus. Kurz darauf kommt es zu nie da gewesenen Szenen und einem Gewaltausbruch am US-Parlamentssitz.
Washington - Die Proteste aufgebrachter Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump in der Hauptstadt Washington sind ausgeartet und haben für Chaos und Gewalt im politischen Zentrum der USA gesorgt.
Nach einer einheizenden Rede des Republikaners marschierten Trump-Unterstützer vor dem Kapitol auf, dem Sitz des US-Parlaments, um gegen die Zertifizierung der Präsidentschaftswahlergebnisse zu protestieren. Bei dem Ansturm auf das Kongressgebäude drangen Demonstranten ins Innere des Kapitols ein. Die beiden Kongresskammern mussten ihre Sitzungen abrupt unterbrechen, die Parlamentssäle wurden geräumt.
Eine Frau, die angeschossen wurde, ist gestorben. Eine Polizeisprecherin bestätigte der Deutschen Presse-Agentur den Tod der Frau. Die genauen Hintergründe sind noch unklar.
Nach Angaben des Weißen Hauses soll auch die Nationalgarde eingesetzt werden. «Auf Anweisung von Präsident Donald Trump ist die Nationalgarde zusammen mit anderen Bundesschutzdiensten unterwegs», schrieb Trump-Sprecherin Kayleigh McEnany bei Twitter. Das Pentagon teilte mit, die Nationalgarde des Hauptstadtbezirks sei mobilisiert worden, um Sicherheitskräfte des Bundes zu unterstützen. Der geschäftsführende Verteidigungsminister Christopher Miller sei in Kontakt mit der Führung sowohl des Repräsentantenhauses als auch des Senats. Der Einsatz der Sicherheitskräfte werde vom Justizministerium geführt. Minister Miller erklärte wenig später, er und Generalstabschef Mark Milley hätten separat mit den Vertreten beider Parlamentskammern gesprochen. Das Verteidigungsministerium könne über die Nationalgarde hinaus «so wie nötig und angemessen» weitere Unterstützung leisten, erklärte er.
Auch die US-Nachrichtenagentur AP berichtete davon, dass das Heimatschutzministerium weitere Kräfte zum Kapitol schicken werde. Der Gouverneur von Virginia, Ralph Northam, kündigte derweil per Twitter an, dass er Kräfte der Nationalgarde des Staates zur Unterstützung nach Washington senden werde.
Die Lage war zunächst unübersichtlich. Auf Bildern des Senders CNN war zu sehen, wie Demonstranten Fensterscheiben zerschlugen und sich so Zugang zum Gebäude verschafften. Auf einem anderen Bild posierte ein Demonstrant im geräumten Senatssaal mit erhobener Faust auf dem Platz des Kammervorsitzenden.
Abgeordnete, die sich in Sicherheit gebracht hatten, meldeten sich über die sozialen Medien oder per Telefonschalten im nationalen Fernsehen zu Wort. Der republikanische Abgeordnete Adam Kinzinger etwa nannte die Vorgänge bei CNN «ekelhaft» und «absolut verabscheuungswürdig».
Der gewählte US-Präsident Joe Biden hat die dramatischen Ereignisse rund um das Kapitol in Washington scharf verurteilt. «Zu dieser Stunde wird unsere Demokratie beispiellos angegriffen», sagte Biden in Wilmington (Delaware). Die Gewalt müsse enden. Zudem ruft er Donald Trump auf, sich in einer Fernsehansprache an die Nation zu wenden. Trump müsse eine Ansprache halten, um seinem Eid nachzukommen und die Verfassung zu verteidigen, sagt Biden.
Im Kapitol hatten sich das Repräsentantenhaus und der Senat am Mittag versammelt, um die Ergebnisse der Präsidentenwahl vom November offiziell zu bestätigen. Tausende Trump-Anhänger strömten in die US-Hauptstadt, um gegen die Zertifizierung des Wahlausgangs zu protestieren.
Trump hatte die Präsidentschaftswahl mit deutlichem Abstand gegen seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden verloren. Er weigert sich aber, seine Niederlage einzugestehen. Trump behauptet, er sei durch massiven Betrug um den Sieg gebracht worden. Weder er noch seine Anwälte legten stichhaltige Beweise dafür vor. Dutzende Klagen des Trump-Lagers wurden bislang von Gerichten abgeschmettert, auch vom Obersten US-Gericht.
Kurz vor dem Start der Kongresssitzung war Trump nahe dem Kapitol vor seinen Anhängern aufgetreten, hatte seine haltlosen Wahlbetrugsbehauptungen wiederholt und seine Unterstützer dazu aufgerufen, zum Kapitol zu ziehen. Sie dürften sich den «Diebstahl» der Wahl nicht gefallen zu lassen.
Nach dem Gewaltausbruch riefen zahlreiche Politiker Trump eindringlich auf, die Ausschreitungen sofort zu stoppen. Die ehemalige Kommunikationsdirektorin des Weißen Hauses, Alyssa Farah, schrieb auf Twitter an Trump gerichtet: «Verurteilen Sie das jetzt, Donald Trump - Sie sind der einzige, auf den sie hören werden. Für unser Land!»
Der amtierende US-Präsident Donald Trump hat die Demonstranten am Kapitol aufgefordert abzuziehen. Er verstehe den Ärger über den Ausgang der Wahl, «aber ihr müsst jetzt nach Hause gehen», sagte Trump in einer auf Twitter verbreiteten Videobotschaft. «Wir müssen Frieden haben, wir müssen Recht und Ordnung haben.» Niemand dürfe verletzt werden, mahnte er. Es sei eine harte Zeit, es habe Betrug bei der Präsidentschaftswahl gegeben. Man habe ihm und seinen Anhängern die Wahl gestohlen, behauptete der abgewählte Präsident - erneut ohne jeden Beleg. «Ich weiß, wie ihr euch fühlt, aber geht nach Hause.» Trump sagte an die Adresse der Protestler: «Wir lieben euch. Ihr seid etwas ganz Besonderes.» Trumps Tweet wurde noch am Abend von Twitter wegen umstrittener Aussagen mit einem Warnhinweis versehen.
Deutlicher wurde US-Vizepräsident Mike Pence. Trumps Stellvertreter schrieb auf Twitter: «Friedlicher Protest ist das Recht jedes Amerikaners, aber dieser Angriff auf unser Kapitol wird nicht toleriert werden und jene, die daran beteiligt sind, werden mit der ganzen Härte des Gesetzes zur Verantwortung gezogen.»
Pence hatte die Kongresssitzung vor der Unterbrechung geleitet. Trump hatte ihn direkt dazu aufgerufen, sich gegen die Zertifizierung des Wahlergebnisses zu stellen - entgegen der gesetzlichen Vorgaben. Pence wies dieses Ansinnen jedoch zurück.
Die Zertifizierung der Wahlergebnisse ist in den Vereinigten Staaten üblicherweise eine Formalie. Diverse Republikaner hatten jedoch vorab eine politische Störaktion angekündigt, bei der sie Einspruch gegen Ergebnisse aus den Bundesstaaten einlegen wollten. Trump wiederum hatte über Wochen diesen Tag der Kongresssitzung - ohne jegliche Grundlage - als letzte Möglichkeit dargestellt, den Wahlausgang noch umzustürzen. Am Wahlausgang ist aber nicht zu rütteln. Auch die politische Störaktion der Republikaner hatte von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg.
Mehrere hochrangige Republikaner hatten die geplante Aktion ihrer Parteikollegen und Trumps fortdauernden Feldzug gegen den Wahlausgang als gefährlich gebrandmarkt. Biden soll am 20. Januar vereidigt werden.
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