Aktien, Anleihen

Deutet die Zinsstruktur auf eine baldige Rezession hin?

Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

in den USA läuft seit einiger Zeit eine hitzige Diskussion über die möglichen Auswirkungen einer sich abflachenden Zinsstrukturkurve. Das Abflachen und vor allem die Inversion dieser Kurve deuten in der Regel recht zuverlässig auf eine kommende Rezession hin. Entsprechend freuen sich die Bären wegen der jüngst negativen Entwicklung in den USA. Zu Recht?

Auf die Änderung kommt es an

Bei der Zinsstruktur handelt es sich um das Verhältnis verschiedener Zinssätze zueinander. Normalerweise benutzt man dafür Zinsen für Staatsanleihen unterschiedlicher Laufzeiten, die in ein Diagramm eingetragen werden. Das Ergebnis ist eine Zinsstrukturkurve. Dabei handelt es sich aber stets nur um eine Momentaufnahme, weil sich die Anleihenkurse und damit die Renditen der Anleihen börsentäglich ändern.

Die Änderungen der Zinsstruktur werden von Ökonomen und Investoren mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. In der folgenden Abbildung sehen Sie die aktuelle Zinsstrukturkurve für US-Staatsanleihen (blau) mit derjenigen von vor einem Jahr (orange) gegenübergestellt:

Zinsstruktur USA

(Quelle: US. Department of Treasury)

Auf der horizontalen Achse werden nach rechts aufsteigend die üblichen Laufzeiten der Anleihen (in Monaten bzw. Jahren) abgebildet, auf der vertikalen Achse die jeweiligen durchschnittlichen Marktrenditen dieser Anleihen. (Links für die blaue und gelbe Kurve, rechts für die grau gestrichelte.)

Die Bedeutung der Zinsstruktur

Die Renditen für länger laufende Anleihen sind im Normalfall höher, da für längere Laufzeiten das Risiko für die Anleger steigt (z.B. Kapitalverluste durch die Inflation während der Laufzeit). Deshalb sollte die Zinsstrukturkurve einen steigenden Verlauf haben – wie es auch für beide Kurven im Diagramm der Fall ist. Demnach sieht die aktuelle Zinsstrukturkurve völlig „normal“ aus. Warum also die Aufregung?

Bei genauerer Betrachtung ist zu erkennen, dass die aktuelle (blaue) Kurve flacher verläuft als die Kurve vor einem Jahr (orange). Dies bedeutet, dass die kurzfristigen Zinsen gestiegen sind, während die langfristigen sogar leicht gesunken sind. Falls sich dieser Prozess fortsetzt, könnte daraus eine sogenannte inverse Zinsstrukturkurve entstehen, also einer Linie, die tendenziell fällt. Dann wären die kurzfristigen Zinsen höher als die langfristigen. Gleiches konnte man auch Anfang 2007 beobachten – vor der Finanzkrise und dem Crash von 2008 (siehe grau gestrichelte Kurve).

Wann die Zinsstrukturkurve kippt

Doch wie kann es zu einer inversen Zinsstruktur kommen? Wieso brauchen die Anleger dann anscheinend keinen Risikoausgleich mehr für lang laufende Anleihen, sondern akzeptieren niedrigere Renditen, als sie für „Kurzläufer“ bekommen? Das liegt daran, dass die Anleger zu dieser Zeit mit fallenden Zinsen rechnen. Deshalb greifen sie bei Anleihen mit langer Laufzeit und hoher Rendite zu, solange es sie noch gibt.

Durch die entstandene erhöhte Nachfrage nach „Langläufern“ wird der Preis (=Kurs) für diese Anleihen nach oben gedrückt, während die Nachfrage nach „Kurzläufern“ genauso sinkt, wie deren Preise (Kurse). Nun stehen bei Anleihen aber Kurse und Renditen in umgekehrter Wechselwirkung (steigende Kurse = sinkende Renditen und umgekehrt). Dies bedeutet, dass die die langfristigen Zinsen sinken und die kurzfristigen steigen. Ist dieser Mechanismus stark und lange genug, kippt die Zinsstrukturkurve und wird invers.

Dieser letzte Satz ist dabei von entscheidender Bedeutung: Damit eine inverse Zinsstrukturkurve entstehen kann, müssen also die Zinssenkungsängste der Anleger ausreichend groß und nachhaltig sein. Dies geschieht in der Regel vor einer nahenden Rezession, da dann die Anleger damit rechnen, dass die Zentralbank – in den USA also die Fed – der Rezession wie üblich mit Zinssenkungen entgegentritt.

Renditedifferenz durchbricht wichtige Unterstützung

Und damit sind wir beim entscheidendem Punkt für die Bären angelangt. Diese sehen in der aktuellen Abflachung der Zinsstrukturkurve einen Hinweis auf eine kommende Rezession in den USA. Den Anlass dafür bot der Fall der Renditedifferenz zwischen 10-jährigen und 2-jährigen US-Staatsanleihen. Anfang November durchbrach diese sehr dynamisch eine wichtige Unterstützung (siehe rote Linie in folgendem Chart).

Renditedifferenz 10J.-2J. seit 2009

(Quellen: MarketMaker mit Daten von investing.com; eigene Berechnungen)

Bei der Renditedifferenz zwischen 10-jährigen und 2-jährigen Staatsanleihen handelt es sich um eine oft genutzte Vereinfachung der Zinsstrukturkurve, die auch sehr gut im Zeitverlauf darstellbar ist. Hier signalisiert eine fallende Kurve eine flacher werdende Zinsstrukturkurve und umgekehrt. Sobald die Nulllinie gebrochen wird, liegt eine inverse Zinsstruktur vor.

Schon seit 2011 fällt die Renditedifferenz sehr deutlich mit nur mehr oder weniger starken Unterbrechungen. Im Dezember 2016 endete die bisher letzte Unterbrechung dieses Rückgangs und seither sinkt die Kurve faktisch wieder kontinuierlich. Wäre die rote Linie nicht gebrochen worden, wäre der jüngste Rückgang nicht einmal besonders auffällig gewesen.

Zinsstrukturkurve zur Rezessionserkennung

Betrachtet man das langfristige Bild (siehe folgender Chart) erkennt man, dass allen Rezessionen (grau schattierte Zeiträume) seit Ende der 1970er Jahre eine inverse Zinsstruktur vorausging (siehe rote Füllungen) – mit einer Ausnahme: 1998 war die Zinsstruktur zwar kurzzeitig invers (siehe blauer Pfeil), es kam aber zu keiner Rezession. Bis zur nächsten Rezession von 2001 sahen wir jedoch nochmals eine klar inverse Zinsstruktur.

Renditedifferenz 10J.-2J. seit 1977

(Quellen: National Bureau of Economic Research, MarketMaker mit Daten von investing.com; eigene Berechnungen)

Im Chart sieht man aber auch, dass die aktuelle Renditedifferenz (Niveau = gestrichelte Linie) noch kein alarmierendes Niveau erreicht hat. In diesem Bereich kam es in den vergangenen Jahrzehnten selbst nach dynamischeren Rückfällen als aktuell immer wieder zu einer Umkehr nach oben und damit zu keiner Rezession. Selbiges zeigen derzeit auch die Frühindikatoren, wie die Einkaufsmanagerindizes, bislang noch ganz klar an (siehe z.B. Börse-Intern vom 8.11.2017). In den USA erlebten wir noch nie eine Rezession, wenn die Einkaufsmanagerindizes – so wie zurzeit – auf einem hohem Niveau standen und noch weiter anstiegen. (Der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe landete z.B. erst im September auf seinen höchsten Stand seit Juni 2004!)

Die Zinsstruktur bleibt ein schwieriger Rezessionsindikator

Im Chart sieht man aber auch, dass die Zinsstruktur zum Teil bereits extrem früh kippt – lange bevor die Rezession tatsächlich einsetzt. Im Durchschnitt der vergangenen Rezessionsperioden (der „Double Dip“ der 1980er Jahre wird als eine Rezession gezählt) kippte die Zinsstruktur knapp 18 Monate vor dem tatsächlichen Beginn der Rezession ins Inverse. Im Jahre 2007 vor der Finanzkrise waren es sogar zwei Jahre! Für ein genaues Timing ist dieser Indikator also nicht zu gebrauchen.

Heißt das, wir können getrost zur Tagesordnung übergehen und die flachere Zinsstruktur ignorieren? Genaugenommen ist das so. Schließlich wird es erst kritisch, wenn die Abwärtsdynamik der Renditedifferenz anhält und die Nulllinie durchbrochen wird. Nichtsdestotrotz möchte ich zum Abschluss mögliche Gründe für die jüngste Abflachung der Zinsstrukturkurve erläutern.

Zunächst einmal ist anzumerken, dass die Anleger entgegen der üblichen Interpretation der Zinsstrukturkurve noch mit keinen sinkenden Zinsen rechnen. Zumindest im Falle der Leitzinsen der Fed. Die Fed Futures, welche die Zinserwartungen der Märkte zu den jeweiligen Fed-Sitzungsterminen wiederspiegeln, zeigen, dass die Anleger bis Ende 2018 schrittweise weiter steigende Leitzinsen erwarten (siehe folgende Grafik). Die „Leitzins-Struktur“ bleibt also weiterhin normal – und ist nicht invers!

Impliziter Fed-Leitzins

(Quellen: CME Group; eigene Berechnungen)

Fed musste Anleger erst auf Kurs bringen

Doch es kam offenbar zu einem deutlichen Sinneswandel unter den Anlegern in Bezug auf die Konsequenz der Fed. 2016 agierte die Fed bei ihren ersten Zinserhöhungen noch eher zögerlich und verschob diese sogar mehrmals aus fast fadenscheinig wirkenden Begründungen. Deshalb glaubten auch viele Anleger und Analysten noch weit ins laufende Jahr hinein nicht so recht an eine Normalisierung der Geldpolitik.

Erst im Sommer dieses Jahres als die Fed deutliche Ansagen zu einer Reduzierung ihrer Bilanzsumme machte und ihre Ausführungen zur Wirtschaftslage deutlich optimistischer wurden, änderte sich dies. Erst dann waren auch die Reaktionen der Anleger dementsprechend eindeutig (siehe folgender Chart).

Fed Funds Future 12/2017 vs. Zinsen

(Quellen: MarketMaker mit Daten von investing.com, CME Group; eigene Berechnungen)

So befand sich bis Anfang September die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Zinsschritt im Dezember bei unter 50 %, wie bei den Fed Funds Futures für die Dezember-Sitzung der Fed zu sehen ist (siehe grüne Kurve). Anschließend (siehe gelbes Rechteck) schnellte der Wert wegen der genannten Änderung in der Kommunikation der Fed dynamisch nach oben.

Der tatsächliche Hintergrund dieser Zinsstruktur

Gleichzeitig kletterten auch die kurzfristigen Zinsen (rote Kurve) nachhaltig und vor allem zügig nach oben. Denn nur diese werden durch den Leitzins direkt beeinflusst. Dagegen reagierten die langfristigen Zinsen (blaue Kurve) nur kurzzeitig und verharrten anschließend wieder konstant auf einem leicht erhöhten Niveau. Denn die langfristigen Zinsen werden eher von nachhaltigen Änderungen des Inflationsniveaus und der Inflationserwartungen beeinflusst. Da die Löhne und Rohstoffpreise aber nach wie vor nur moderat steigen, gibt es aktuell keine größere Gefahr einer deutlich höheren Inflation. Deshalb zeichnen sich die langfristigen Zinsen vorerst weiterhin durch Inaktivität aus.

Am Ende handelt es sich beim Abflachen der Zinsstrukturkurve nur um eine Anpassung der Märkte an die Geldpolitik und die wirtschaftlichen Gegebenheiten und nicht um eine Rezessionsangst. Es können durchaus noch andere Gründe existieren, aber die genannten sind die offensichtlichsten und klar nachvollziehbar. Es gibt also keinen Grund sich von Weltuntergangsszenarien verunsichern zu lassen. Die Rally ist trotz erster Überhitzungserscheinungen noch intakt und eine Korrektur dürfte diese rasch abbauen. Und selbst in dem Fall, dass diese ausfällt, kann diese Übertreibung noch lange weitergehen. Ihre Gewinne sollten Sie als Langfristanleger also solange einfach weiter laufen lassen.

Mit besten Grüßen

Ihr Torsten Ewert

 (Quelle: www.stockstreet.de)

@ ad-hoc-news.de | 05.12.17 12:48 Uhr